ࡱ> XZQRSTUVW5@bjbj22hXXBBBBBBB~6~6~6~6<7|ЪB>B>B>B>B>B>B>B>suuuuuuRح@uB/?B>B>/?/?uBBB>B>/?FKBB>BB>s/?s(GBBGB>6> 1gx~6u.Gs0ЪGrGBBBBBG,B>"d>|>>B>B>B>uu/Z6$ Z6Roman Mirjam Pressler, geboren 1940 in Darmstadt, besuchte die Hochschule fr Bildende Knste in Frankfurt und lebt heute als freischaffende Autorin und bersetzerin in Mnchen. Im Programm Beltz & Gelberg erschienen u.a. die Romane Bitterschokolade (Oldenburger Jugendbuchpreis 1980), Kratzer im Lack, Novemberkatzen, Nickel Vogelpfeifer (Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 1987), Wenn das Glck kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen (Deutscher Jugendliteraturpreis) sowie die Biographie ber Anne Frank Ich sehne mich so. Fr ihr bersetzerwerk wurde Mirjam Pressler mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises 1994 ausgezeichnet. BELTZ & Gelberg Oldenburger Jugendbuchpreis 1980 Bitterschokolade wurde von Gabriele Presber verfilmt (25 Min., 16 mm). Informationen ber FWU, Institut fr Film und Bild, Postfach 1261, D-82026 Grnwald, Tel. 089/6497444, Fax 089/6497240; E-mail: info-fwu@t-online.de http://www.FWU.de Zu Bitterschokola.de gibt es ein Lehrerbegleitheft, erhltlich gegen eine Schutzgebhr von DM 3,- Beltz Verlag, Postfach 100161, 69441 Weinheim ISBN 3 407 99061 8 Gulliver Taschenbuch 403 1980, 1986 Beltz Verlag, Weinheim und Basel Programm Beltz & Gelberg, Weinheim Alle Rechte vorbehalten Einband von Max Bartholl unter Verwendung eines Fotos von Monika Paulick Gesetzt nach der neuen Rechtschreibung Gesamtherstellung Druckhaus Beltz, 69494 Hemsbach Printed in Germany ISBN 3 407 78403 l 21 22 23 03 02 01 00 1 Eva, sagte Herr Hochstein. Eva senkte den Kopf, griff nach ihrem Fller, schrieb. Eva, sagte Herr Hochstein noch einmal. Eva senkte den Kopf tiefer, griff nach Lineal und Bleistift, zeichnete die Pyramide. Sie hrte ihn nicht. Sie wollte ihn nicht hren. Nicht aufstehen, nicht zur Tafel gehen. Jetzt hatte sie gewackelt. Blind tastete sie nach dem Federmppchen, lie ihre Finger ber die Gegenstnde gleiten, harte Bleistifte, ein kleiner, kantiger Metallspitzer, der Kugelschreiber mit der abgebrochenen Klammer, aber kein Radiergummi. Sie nahm ihre Schultasche auf die Knie, suchte mit gesenktem Kopf. Man kann lange nach einem Radiergummi whlen. Ein Radiergummi ist klein in einer Schultasche. Barbara, sagte Herr Hochstein. In der dritten Reihe erhob sich Babsi und ging zur Tafel. Eva schaute nicht auf. Aber sie wusste trotzdem, wie Babsi ging, mit schmalen, langen Beinen, mit dem kleinen Hintern in engen Jeans. Eva fand den Radiergummi und hngte die Schultasche wieder an den Haken. Sie radierte die verwackelte Linie und zog sie neu. Gut hast du das gemacht, Barbara, sagte Herr Hochstein. Babsi kam durch den schmalen Gang zwischen den Bankreihen zurck und setzte sich. In ihr Stuhlrcken hinein schrillte die Glocke. Dritte Stunde Sport. Gekicher und Lachen im Umkleideraum. Es wrde ein heier Tag werden, es war jetzt schon hei. Eva zog ihre schwarzen Leggings an, wie immer, und dazu ein schwarzes T-Shirt mit kurzen rmeln. Sie gingen zum Sportplatz. Frau Madler pfiff und alle stellten sich in einer Reihe auf. Handball. Alexandra und Susanne whlen die Mannschaft. Eva kauerte sich nieder, ffnete die Schleife an ihrem linken Turnschuh, zog den Schnrsenkel heraus und fdelte ihn neu ein. Alexandra sagte: Petra. Susanne sagte: Karin. Eva hatte den Schnrsenkel durch die beiden untersten Lcher geschoben und zog ihn gerade, sorgfltig zog sie die beiden Teile auf gleiche Lnge. Karola. - Anna. - Ines. - Nina. - Kath-rin. Eva fdelte langsamer. Maxi. - Ingrid. - Babsi. - Monika. - Fran-ziska. - Christine. Eva begann mit der Schleife. Sie kreuzte die Bnder und zog sie zusammen. Sabine Mller. - Lena. - Claudia. - Ruth. -Sabine Karl. Eva lie das Band ber ihre Finger gleiten, legte die Schleife und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger fest. Irmgard. Maja. - Inge. - Ulrike. - Hanna. - Kerstin. Ich msste meine Turnschuhe mal wieder waschen, dachte Eva, sie haben es ntig. Gabi. - Anita. - Agnes. - Eva. Eva zog die Schleife fest und erhob sich. Sie war in Alexandras Gruppe. Eva schwitzte. Der Schwei rann ihr von der Stirn ber die Augenbrauen, ber die Backen und manchmal sogar in die Augen. Immer wieder musste sie ihn mit dem Unterarm und dem Handrcken wegwischen. Der Ball war hart und schwer, und die Finger taten ihr weh, wenn sie ihn einmal erwischte. Auch die anderen hatten groe Schweiflecken unter den Armen, als die Stunde zu Ende war. Eva ging sehr langsam zum Umkleideraum, sie zog sich sehr langsam aus. Als sie sich ihr groes Handtuch bergehngt hatte und die Tr aufmachte, waren nur noch ein paar Mdchen im Duschraum. Sie ging zur hintersten Dusche, zu der in der Ecke. Nun beeilte sie sich, lie das kalte Wasser ber Rcken und Bauch laufen, nicht ber den Kopf, das Fnen dauerte bei ihr zu lange. Mit den Hnden klatschte sie sich Wasser ins Gesicht. Die Zementwand bekam dunkle Flecken, wo sie nass geworden war. Jetzt war Eva ganz allein im Duschraum. In aller Ruhe trocknete sie sich ab und hngte sich das Handtuch wieder so ber die Schulter, dass es ihren Busen und ihren Bauch verdeckte. Im Umkleide-rauni war niemand mehr. Als sie sich gerade ihren Rock angezogen hatte, ffnete Frau Madler die Tr. Ach, Eva, du bist noch da. Bring mir doch nachher den Schlssel. Eva kreuzte die Arme vor ihrer Brust und nickte. Die groe Pause hatte schon angefangen. Eva holte sich ihr Buch aus dem Klassenzimmer und ging in den Pausenhof. Sie drngte sich zwischen den Mdchen hindurch bis zu ihrer Ecke am Zaun. Ihre Ecke! Sie setzte sich auf den Zementsockel des Zaunes und bltterte in ihrem Buch, suchte die Stelle, an der sie gestern Abend aufgehrt hatte zu lesen. Neben ihr standen Lena, Babsi, Karola und Tine. Babsi war aber doch die Schnste. Dass sie sich das traute, das enge, weie T-Shirt ber der nackten Brust! Eva fand die Stelle im Buch. Ich betrachtete den Toten, seine ausgezehrte Gestalt. Die Falten in seinem Gesicht, obwohl er hchstens fnfunddreiig sein mochte. Er war einen fr die Indios typischen Tod gestorben. An Entkrftung. Sie kauen Kokabltter, um den Hunger zu unterdrcken, und eines Tages fallen sie um und sind tot. Ich war gestern in der Disko. Mit Johannes, dem Sohn von Dr. Braun. Mensch, Babsi, das ist ja toll. Wie ist der denn so, so aus der Nhe? Prima. Und tanzen kann der! Eva las weiter in Warum zeigst du der Welt das Licht? Vom schlanken Schlemmer bis hin zur Hollywoodkur fiel mir alles ein. Von der Vernichtung der berproduktion in der EWG bis zu den Appetithemmern, die in den Schaufenstern der Apotheken angepriesen werden. Seid ihr mit seinem Auto gefahren? Natrlich. Mein Bruder ist mit ihm in einer Klasse. Er hatte Hunger, ich wusste es. Auch ich hatte Hunger, und ich konnte meine Rcke nur mehr mit Sicherheitsnadeln daran hindern, mir am Krper herunterzurutschen. Ich machte die natrlichste Abmagerungskur der Welt. Ich hatte wenig zu essen. Die Mdchen kicherten. Eva konnte nichts mehr verstehen, sie flsterten jetzt. Franziska setzte sich neben Eva. Was liest du denn? Eva klappte das Buch zu, den noch nicht gelesenen Teil zwischen Ringfinger und Mittelfinger haltend. Warum zeigst du der Welt das Licht?, las Franziska laut. Ich kenne es auch. Gefllt es dir? Eva nickte. Es ist spannend. Und manchmal traurig. Magst du traurige Bcher? Ja. Ich finde, wenn ein Buch gut sein soll, muss man wenigstens einmal weinen knnen beim Lesen. 8 Ich weine eigentlich nie beim Lesen. Aber im Kino, wenn es traurig ist, weine ich sehr schnell. Bei mir ist es umgekehrt. Im Kino weine ich nie, aber beim Lesen oft. Ich gehe aber auch selten ins Kino. Wir knnten doch mal zusammen gehen. Magst du? Eva zuckte mit den Schultern. Knnten wir. Wann weinte sie? Welche Stellen in Bchern waren es, die sie zum Weinen brachten? Eigentlich immer Worte wie Liebe, Streicheln, Vertrauen, Einsamkeit, richtig kitschige Worte. Eva betrachtete Karola und Lena. Lena hatte den Arm um Karola gelegt, sehr besitzergreifend, sehr selbstbewusst. So, genau so, hatte Karola frher den Arm um sie gelegt. Eva kannte das Gefhl von Wrme, das man fhlt, wenn man von jemand anders den Arm um die Schulter gelegt bekommt, so ganz offen, vor allen anderen, so selbstverstndlich. Es tat weh, das zu sehen. Wussten denn die, die das taten, die ihre Vertrautheit miteinander demonstrierten, nicht, wie weh das den anderen tat? Denen, die niemand hatten, die allein waren, ohne Nhe, ohne jemanden, den man unbefangen anfassen konnte, wenn man wollte. Eva stand auf. Ich hole mir noch einen Tee, sagte sie. Sie wollte Franziska nicht verletzen, die Einzige, von der sie begrt wurde, wenn sie morgens in die Klasse kam. Eva kam immer spt, im letzten Moment. An der Ecke Friedrichstrae/Elisabethstrae war eine Normaluhr, dort wartete sie immer, bis es vier Minuten vor acht war, um ja nicht zu frh anzukommen, um dem morgendlichen >Weit-du-gestern-habe-ich< zu entgehen. Der Tee schmeckte schal und slich. Er war nur hei. Eva stand vor dem Schaufenster des Feinkostladens Schneider. Sie hatte sich dicht an die Schaufensterscheibe gestellt, damit sie ihr Bild im Glas nicht sehen musste, eine verzerrte, verschwommene Eva. Sie wollte das nicht sehen. Sie wusste auch so, dass sie zu fett war. Jeden Tag, fnfmal in der Woche, konnte sie sich mit anderen vergleichen. Fnf Vormittage, an denen sie gezwungen war zuzuschauen, wie die anderen in ihren engen Jeans herumliefen. Nur sie war so fett. Sie war so fett, dass keiner sie anschauen mochte. Als sie elf oder zwlf Jahre alt gewesen war, hatte es damit angefangen, dass sie immer Hunger hatte und nie satt wurde. Und jetzt, mit fnfzehn, wog sie einhundertvier-unddreiig Pfund. Siebenundsechzig Kilo, und sie war nicht besonders gro. Und auch jetzt hatte sie Hunger, immer hatte sie nach der Schule Hunger. Mechanisch zhlte sie die Geldstcke in ihrem Portemonnaie. Vier Mark fnf-undachtzig hatte sie noch. Der Heringssalat kostete 10 11 zwei Mark hundert Gramm. Im Laden war es khl nach der sengenden Hitze drauen. Bei dem Geruch nach Essen wurde ihr fast schwindelig vor Hunger. Zweihundert Gramm Heringssalat mit Mayonnaise, bitte, sagte sie leise zu der Verkuferin, die gelangweilt hinter der Theke stand und sich trge am Ohr kratzte. Es schien einen Moment zu dauern, bis sie kapierte, was Eva wollte. Doch dann nahm sie den Finger von ihrem Ohr und griff nach einem Plastikbecher. Sie lffelte die Heringsstckchen und die Gurkenscheiben hinein, klatschte noch einen Lffel Mayonnaise darauf und stellte den Becher auf die Waage. Vier Mark, sagte sie gleichgltig. Hastig legte Eva das Geld auf den Tisch, nahm den Becher und verlie grulos den Laden. Die Verkuferin fuhr fort, sich am Ohr zu kratzen. Drauen war es wieder hei, die Sonne knallte vom Himmel. Wie kann es nur im Juni so warm sein, dachte Eva. Der Becher in ihrer Hand war kalt. Sie beschleunigte ihre Schritte, sie rannte fast, als sie den Park betrat. berall auf den Bnken saen Leute in der Sonne, Mnner hatten sich die Hemden ausgezogen, Frauen die Rcke bis weit ber die Knie hochgeschoben, damit auch ihre Beine braun wrden. Eva ging langsam an den Bnken vorbei. Schauten ihr die Leute nach? Redeten sie ber sie? Lachten sie darber, dass ein junges Mdchen so fett sein konnte? Sie war an den Bschen angekommen, die die Bank- reihe von dem Spielplatz trennten. Schnell drckte sie sich zwischen zwei Weidornhecken hindurch. Die Zweige schlugen hinter ihr wieder zusammen. Hier war sie ungestrt, hier konnte sie keiner sehen. Sie lie die Schultasche von der Schulter gleiten und kauerte sich auf den Boden. Das Gras kitzelte ihre nackten Beine. Sie hob den Deckel von dem Becher und legte ihn neben sich auf den Boden. Einen Moment lang starrte sie den Becher andchtig an, die graurosa Heringsstckchen in der fetten, weien Mayonnaise. An einem Fischstck sah man noch die blausilberne Haut. Sie nahm dieses Stck vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und steckte es dann in den Mund. Khl war es und suerlich scharf. Sie schob es langsam mit der Zunge hin und her, bis sie auch deutlich den dmpfenden, fetten Geschmack der Mayonnaise sprte. Dann fing sie an zu kauen und zu schlucken, griff wieder mit den Fingern in den Becher und stopfte die Heringe in den Mund. Den letzten Rest der Sauce schabte sie mit dem Zeigefinger heraus. Seufzend erhob sie sich, als der Becher leer war, und warf ihn unter einen Busch. Dann nahm sie ihre Schultasche wieder ber ihre Schulter und glttete mit den Hnden ihren Rock. Sie fhlte sich traurig und mde. 12 13 2 Eva klingelte unten am Hauseingang, zweimal kurz. Das tat sie immer. Ihre Mutter drehte dann die Platte des Elektroherdes an, auf dem das Mittagessen zum Aufwrmen stand. Wenn Eva nach Hause kam, hatten ihre Mutter und ihr Bruder bereits gegessen. Berthold war erst zehn und ging noch in die Grundschule um die Ecke. Diesmal war das Essen noch nicht fertig. Es gab Pfannkuchen mit Apfelmus und Pfannkuchen machte ihre Mutter immer frisch. Schn knusprig mssen sie sein. Aufgewrmt sind sie wie Waschlappen. Wo ist Berthold?, fragte Eva, als sie sich an den Tisch setzte. Irgendetwas musste man ja sagen. Schon lang im Schwimmbad. Er hat hitzefrei. Das msste uns auch mal passieren, sagte Eva. Aber bei uns ist es ja angeblich khl genug in den Rumen. Die Mutter hatte die Pfanne auf die Herdplatte gestellt. Es zischte laut, als sie einen Schpflffel Teig in das heie, brutzelnde Fett goss. Was hast du heute vor?, fragte sie und wendete den Pfannkuchen. Eva lffelte sich Apfelmus in eine Glasschssel und begann zu essen. Von dem Geruch des heien Fettes wurde ihr bel. Ich mag keine Pfannkuchen, Mama, sagte sie. Die Mutter hielt einen Moment inne, stand da, den Bratenwender mit dem darber hngenden Pfannkuchen in der Hand, und sah ihre Tochter erstaunt an. Wieso? Bist du krank? Nein. Ich mag heute nur keine Pfannkuchen. Aber sonst isst du Pfannkuchen doch so gern. Ich habe nicht gesagt, dass ich Pfannkuchen nicht gern esse. Ich habe gesagt, ich mag heute keinen. Das versteh ich nicht. Wenn du sie doch sonst immer gern gegessen hast ...! Heute nicht. Die Mutter wurde bse. Ich stell mich doch nicht bei dieser Hitze hin und koche und dann willst du nichts essen. Klatsch! Der Pfannkuchen lag auf Evas Teller. Dabei habe ich extra auf dich gewartet. Die Mutter lie wieder Teig in die Pfanne laufen. Eigentlich wollte ich schon um zwei bei Tante Renate sein. Warum bist du nicht gegangen? Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Die Mutter wendete den nchsten Pfannkuchen. Das sagst du so. Und wenn ich nicht aufpasse, kriegst du nichts Gescheites in den Magen. Mechanisch bedeckte Eva den Pfannkuchen mit Apfelmus. Da war auch schon der Zweite. Aber jetzt langt es, Mama, bat Eva. Die Mutter hatte die Pfanne vom Herd genommen 14 15 und zog sich eine frische Bluse an. Ich habe im Kaufhof einen schnen karierten Stoff gefunden, ganz billig, sechs Mark achtzig der Meter. Renate hat mir versprochen, dass sie mir ein Sommerkleid macht. Du kannst doch selbst schon so gut nhen, sagte Eva. Wozu musst du immer noch zur Schmidhuber? Sag nicht immer >die Schmidhuber<. Sag >Tante Renaten Sie ist nicht meine Tante. Aber sie ist meine Freundin. Und sie mag dich. Sie hat schon viele schne Sachen fr dich gemacht. Das stimmte. Sie nhte immer wieder Kleider und Rcke fr Eva, und sie konnte ja nichts dafr, dass Eva in diesen Kleidern unmglich aussah. Eva sah in allen Kleidern unmglich aus. Was machst du heute Nachmittag?, fragte die Mutter. Ich wei noch nicht. Hausaufgaben. Du kannst doch nicht immer nur lernen, Kind. Du musst doch auch mal deinen Spa haben. In deinem Alter war ich schon lngst mit Jungen verabredet. Mama, bitte, verschon mich. Ich meine es doch nur gut mit dir. Fnfzehn Jahre alt und sitzt zu Hause rum wie ein Trauerklo. Eva sthnte laut. Gut, gut. Ich wei ja, dass du dir von mir nichts sagen lsst. Mchtest du vielleicht einmal ins Kino gehen? Soll ich dir Geld geben? Die Mutter ffnete das Portemonnaie und legte zwei Fnfmarkstcke auf den Tisch. Das brauchst du mir nicht zurckzugeben. Danke, Mama. Ich gehe jetzt. Vor sechs komme ich nicht zurck. Eva nickte, aber die Mutter sah es schon nicht mehr, die Wohnungstr war hinter ihr zugefallen. Eva atmete auf. Die Mutter und ihre Schmidhuber! Eva konnte die Schmidhuber nicht ausstehen. >Tante RenateTante Re-nate< sagte und sich ber den Kopf streicheln lie. Sie mag Kinder so gern. Es ist ihr grter Kummer, dass sie selbst keine bekommen kann, hatte die Mutter gesagt. Von dem Kummer merkt man aber nicht viel, hatte Eva gedacht. Na, Eva, was macht die Schule? Hast du schon einen Freund? Hihi-Gekicher in dem runden Gesicht, volle, rot gemalte Lippen ber weien Zhnen und runde Arme, die sich um Eva legen wollten. Und ein tiefer Ausschnitt, der den Schatten zwischen den hochgeschnrten Brsten sehen lie. Man kann ruhig zeigen, was man hat, nicht wahr, Marianne? Und Evas Mutter hatte beifllig genickt. Sie nickte immer beifllig, wenn die Schmidhuber etwas sagte. Eva fand, dass die Hlfte der Menschheit mit einem Busen herumlief und dass es keinen Grund gab, sich darauf was einzubilden und ihn besonders zur Schau zu stellen. Eva ging in ihr Zimmer. Sie legte eine Kassette von 16 17 Leonard Cohen ein und drehte den Lautsprecher auf volle Strke. Das konnte sie nur machen, wenn ihre Mutter nicht da war. Sie legte sich auf ihr Bett. Die tiefe, heisere Stimme erfllte mit ihren trgen Liedern das Zimmer und vibrierte auf Evas Haut. Sie ffnete die Nachttischschublade. Es stimmte, da war wirklich noch eine Tafel Schokolade. Sie lie sich wieder auf das Bett fallen und wickelte mit behutsamen Bewegungen die Schokolade aus dem Silberpapier. Es war ein Glck, dass ihr Zimmer nach Osten lag. Die Schokolade war weich, aber nicht geschmolzen. Sie brach einen Riegel ab, teilte ihn noch einmal und schob sich die beiden Stckchen m den Mund. Zartbitter! Zart-zrtlich, bitter-bitterlich. Zrtlich streicheln, bitterlich weinen. Eva steckte schnell noch ein Stck in den Mund und streckte sich aus. Die Arme unter dem Nacken verschrnkt, das rechte Knie angezogen und den linken Unterschenkel quer darber gelegt, lag sie da und betrachtete ihren nackten linken Fu. Wie zierlich er doch war im Vergleich zu ihren unfrmigen Waden und Oberschenkeln. Sie lie den Fu leicht auf- und abwippen und bewunderte die Form der Zehenngel. Halbmondfrmig, dachte sie. Ihre Mutter hatte dicke Ballen an den Fen, breite Plattfe hatte sie, richtig hssliche Fe, mit nach der Mitte eingebogenen Zehen. Eva ekelte sich vor den Fen ihrer Mutter, vor allem im Sommer, wenn die Mutter Riemensandalen trug und die rtlich verfrbten Beulen seitlich zwischen den schmalen Lederriemchen herausquollen. Eva griff wieder nach der Schokolade. Leonard Cohen sang: She was takmg her body so brave und so free, if I am to remember, it's a fine memory. Automatisch bersetzte sie in Gedanken: Sie trug ihren Krper so tapfer und frei, wenn ich mich erinnern soll: Es ist eine schne Erinnerung. Der Geschmack der Schokolade wurde bitter in ihrem Mund. Nicht zartbitter, sondern unangenehm bitter. Herb. Brennend. Schnell schluckte sie sie hinuner. Ich drfte keine Schokolade essen. Ich bin sowieso viel zu fett. Sie nahm sich vor, zum Abendessen nichts zu essen, auer vielleicht einem kleinen Joghurt. Aber der bittere Geschmack in ihrem Mund blieb. She was ta-king her body so brave and so free! Sie, die Frau, von der Leonard Cohen sang, hatte sicher einen schnen Krper, so wie Babsi, einen mit kleinen Brsten und schmalen Schenkeln. Aber wieso nannte er sie dann tapfer? Als ob es tapfer wre, sich zu zeigen, wenn man schn war! Du bist wirklich zu dick, hatte die Mutter neulich wieder gesagt. Wenn du so weitermachst, passt du bald nicht mehr in normale Gren. Der Vater hatte gegrinst. Lass nur, hatte er gesagt, es gibt Mnner, die haben ganz gern was in der Hand. Dazu hatte er eine anzgliche Handbewegung gemacht. 18 19 Eva war rot geworden und aufgestanden. Aber Fritz, hatte die Mutter gesagt, mach doch nicht immer solche Bemerkungen vor dem Kind. Das Kind hatte wtend die Tr hinter sich zugeknallt. Die Mutter war ihr in das Zimmer nachgekommen. Sei doch nicht immer so empfindlich, Eva. Der Vater meint das doch nicht so. Aber Eva hatte ihr nicht geantwortet. Sie hatte wortlos und demonstrativ ihre Schulsachen auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Die Mutter hatte noch eine Weile unschlssig an der Tr herumgestanden und war dann gegangen. Mnner haben ganz gern was in der Hand, dachte Eva bse. Als ob ich dazu da wre, damit irgendein Mann was in der Hand hat. Sie machte den Kassettenrecorder aus. Leonard Co-hens Stimme verstummte. Eva war unruhig. Sie stand unschlssig in ihrem Zimmer und blickte sich um. Lesen? Nein. Aufgaben machen? Nein. Klavier spielen? Nein. Was blieb eigentlich noch? Spazieren gehen. Bei der Hitze! Vielleicht doch noch schwimmen? Das war bei diesem Wetter keine schlechte Idee. Trotzdem war sie noch unentschlossen. Einerseits war das Wasser schon verlockend, aber andrerseits genierte sie sich immer im Badeanzug. Einen Bikini trug sie nie. Im Mai hatte sie sich einen Badeanzug gekauft, einen ganz teuren. Vater hatte eine Gehaltserhhung bekommen. Vergngt hatte er seine Brieftasche herausgezogen, schweinsledern, naturfarben, ein Weihnachtsgeschenk von der Oma, und Eva einen Hunderter in die Hand gedrckt. Da, kauf dir was Schnes. Einen Badeanzug, hatte die Mutter gesagt. Du brauchtest einen Badeanzug. Eva stand am nchsten Tag in der Kabine, ganz dicht vor dem Spiegel, und htte am liebsten vor Verzweiflung geheult. She was taking her body so brave and so free. Eva hatte Angst gehabt, die Verkuferin knnte den Vorhang zur Seite schieben und sie so sehen. Passt Ihnen der Anzug oder soll ich ihn eine Nummer grer bringen? Es war eine peinliche Erinnerung. Auch jetzt noch, in der Erinnerung, fhlte Eva die Scham und ihre eigene Unbeholfenheit. Scheie, sagte sie laut in ihr Zimmer. Sie packte ihr Badezeug und lie die Tr hinter sich ins Schloss fallen. Trenschmeien, das tat sie gern, das war eigentlich das Einzige, das sie tat, wenn sie sauer war. Was htte sie auch sonst tun sollen? Schreien? Wenn man schon wie ein Trampel aussah, sollte man nichts tun, um aufzufallen. Im Gegenteil. 20 21 3 Als Eva aus dem Haus trat, schlug ihr die Hitze entgegen, flimmerte ber den Asphalt der Strae und brannte in ihren Augen. Fast bedauerte sie es schon, nicht in ihrem khlen, ruhigen Zimmer geblieben zu sein. Sie nahm den Weg durch den Park. Er war zwar ein bisschen lnger, aber wenn sie unter den Bumen ging, war die Hitze ertrglicher. Die Parkbnke waren ziemlich leer um diese Zeit. Sie kam an den Bschen vorbei, hinter denen sie ihren Heringssalat gegessen hatte. Sie betrachtete den Kies auf dem Weg. Er war gelblich braun und auch ihre nackten Zehen waren schon von einer gelblich braunen Staubschicht berzogen. Da rempelte sie mit jemand zusammen, stolperte und fiel. Hoppla!, hrte sie. Hast du dir wehgetan? Sie hob den Kopf. Vor ihr stand ein Junge, vielleicht in ihrem Alter, und streckte ihr die Hand entgegen. Verblfft griff sie danach und lie sich von ihm beim Aufstehen helfen. Dann bckte er sich und reichte ihr das Handtuch mit dem Badeanzug, das auf den Boden gefallen war. Sie rollte es wieder zusammen. Danke. Ihr Knie war aufgeschrft und brannte. Komm, sagte der Junge. Wir gehen rber zum Brunnen. Da kannst du dir dein Knie abwaschen. Eva schaute auf den Boden. Sie nickte. Der Junge lachte. Na los, komm schon. Er nahm ihre Hand und sie humpelte neben ihm her zum Brunnenrand. Ich heie Michel. Eigentlich Michael, aber alle sagen Michel zu mir. Und du? Eva. Sie schaute ihn von der Seite an. Er gefiel ihr. Eva. Er dehnte das e ganz lang und grinste. Sie war durcheinander und das Grinsen des Jungen machte sie bse. Da gibt es nichts zu lachen, fauchte sie. Ich wei selbst, wie komisch das ist, wenn ein Elefant wie ich auch noch Eva heit. Du spinnst ja, sagte Michel. Ich habe dir doch gar nichts getan. Wenn es dir nicht passt, kann ich ja wieder gehen. Aber er ging nicht. Dann sa Eva auf dem Brunnenrand. Sie hatte ihre Sandalen ausgezogen und stellte ihre nackten Fe in das seichte Wasser. Michel stand im Brunnen drin, schpfte mit der hohlen Hand Wasser und lie es ber ihr Knie rinnen. Es brannte und lief als brunlich blutige Soe an ihrem Schienbein hinunter. Zu Hause solltest du dir ein Pflaster draufmachen. Sie nickte. Michel stakte frhlich im Brunnen herum. Eva musste lachen. Eigentlich wollte ich ja ins Schwimmbad. Aber der Brunnen tut's auch. 22 23 Und kostet nichts, sagte Michel. Eva stampfte ins Wasser, dass es hoch aufspritzte. Sie bckte sich und sprengte sich Wasser in das erhitzte Gesicht. Dann saen sie wieder auf dem Muerchen, das um den Brunnen herumfhrte. Wenn ich Geld htte, wrde ich dich zu einer Cola einladen, sagte Michel. Aber leider ...! Eva nestelte an ihrer Rocktasche und hielt ihm ein Fnfmarkstck hin. Bitte, lade mich ein. Sie wurde rot. Michel lachte wieder. Er hatte ein schnes Lachen. Du bist ein komisches Mdchen. Er nahm das Geld und einen Augenblick lang berhrten sich ihre Hnde. So, jetzt bin ich reich, rief er bermtig. Was mchte die Dame haben? Cola oder Limo? Sie gingen nebeneinander her zum anderen Ende des Parks, zum Gartencafe. Es war das erste Mal, dass sie mit einem Jungen ging, auer mit ihrem Bruder natrlich. Sie schaute ihn von der Seite an. Eva ist doch ein schner Name, sagte Michel pltzlich. Nur ein bisschen altmodisch klingt er. Aber das gefllt mir. Sie fanden noch zwei freie Pltze an einem Tisch unter einer groen Platane. Hier war es voll. Die Leute lachten und redeten und tranken Bier. Die Cola war eiskalt. Mir war es ziemlich langweilig vorhin, bevor ich dich getroffen habe. Mir auch. Wie alt bist du?, fragte Michel. Fnfzehn. Und du? Ich auch. In welche Klasse gehst du?, fragte Eva. In die Neunte. Fr mich ist es bald aus mit der Lernerei. Ich gehe auch in die Neunte. Ins Gymnasium. Ach so. Sie schwiegen beide und nuckelten an ihrer Cola. Wenn ich nichts sage, hlt er mich fr doof und langweilig, dachte Eva. Aber er sagt ja auch nichts. Was machst du, wenn du mit der Schule fertig bist? Ich? Ich werde Matrose. Natrlich nicht gleich, aber in ein paar Jahren bin ich Matrose, darauf kannst du dich verlassen. Fr mich gibt's diese ewige Stellensucherei nicht. Ich habe einen Onkel in Hamburg, der sucht ein Schiff fr mich, als Schiffsjunge erst mal. Mein Onkel kennt gengend Leute, der bringt mich bestimmt unter. Sobald ich mein Zeugnis in den Hnden habe, geht es los. Eva gab es einen Stich. Er wrde bald nicht mehr da sein. Blde Gans, dachte sie und zwang sich zu einem Lcheln. Ich muss noch ein paar Jahre in die Schule gehen. Fr mich wre das nichts, immer diese Hockerei. Mir macht es Spa. 24 25 Michel rlpste laut. Die Bedienung kam vorbei. Michel winkte ihr und bezahlte. Eine Mark bekam er heraus. Er nahm sie und steckte sie ein. Eigentlich gehrt sie mir, die Mark, dachte Eva. Michel fragte: Tut dein Knie noch weh? Eva schttelte den Kopf. Nein, aber ich will jetzt heim. Sie gingen mit ruhigen, gleichmigen Schritten nebeneinander her. Obwohl sie sich nicht berhrten, achteten sie darauf, dass ihre Schritte gleich lang waren. Gehen wir morgen zusammen ins Schwimmbad?, fragte Michel. Eva nickte. Wann treffen wir uns? Um drei am Brunnen. Ist dir das recht? Vor Evas Haus angekommen, gaben sie sich die Hnde. Tschss, Eva. Auf Wiedersehen, Michel. Die Mutter und Berthold waren noch nicht da. Eva schaute auf die Uhr. Viertel nach Fnf. In einer halben Stunde wrde ihr Vater nach Hause kommen. Eva ging ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn an. Sie lie das kalte Wasser ber ihre Hnde und Arme laufen und schaute in den kleinen Spiegel ber dem Waschbecken. Sie hatte rtliche Backen bekommen von der Sonne. Das sah eigentlich ganz schn aus. Ihr Gesicht war berhaupt nicht so bel, und ihre Haare waren ausgesprochen schn, dunkelblond und lockig, und am Haaransatz an der Stirn kruselten sie sich und waren ganz hell. Sie griff mit beiden Hnden nach dem Pferdeschwanz und ffnete die Spange. Jetzt sehe ich fast aus wie eine Madonna. So werde ich die Haare tragen, wenn ich erst einmal schlank bin, dachte sie. Entschlossen band sie sich wieder den Pferdeschwanz und befestigte ihn mit der Spange. Dann machte sie sich an ihre Hausaufgaben. Aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie hrte, wie die Wohnungstr aufgeschlossen wurde. Ihr Vater kam nach Hause. Sie schaute sich schnell in ihrem Zimmer um und zog die Bettdecke glatt. Ihr Vater mochte das, wenn alles schn ordentlich aussah. Manchmal war er richtig pedantisch. Auerdem wusste sie nie, wie seine Laune war, wenn er nach Hause kam. Er konnte lange ber einen Pullover auf dem Fuboden reden oder ber eine Schultasche in der Flurecke, wenn er schlecht gelaunt war. Ihre Mutter lief meistens um fnf noch mal durch die ganze Wohnung und schaute nach, ob nichts herumlag. Muss ja nicht sein, dass es Krach gibt, sagte sie. Wenn man es vermeiden kann! Gerade als Eva berlegte, warum er ihr manchmal so auf die Nerven ging, warum gewisse Eigenheiten von ihm sie so strten, dass sie ihn manchmal nicht aushal-ten konnte, gerade in diesem Moment ffnete er ihre Zimmertr. 26 27 Guten Abend, Eva. Das ist aber schn, dass du so fleiig bist. Der Vater war hinter sie getreten und ttschelte ihren Kopf. Eva hatte sich tief ber ihr Englischbuch gebeugt und war froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht in diese Hand zu beien. 4 Eva drckte auf den Knopf der Nachttischlampe. Nun war es fast ganz dunkel. Nur ein schwaches Licht drang durch das geffnete Fenster. Der Vorhang bewegte sich und dankbar sprte sie den leichten Luftzug. Endlich war es ein bisschen khler geworden. Sie zog das Leintuch ber sich, das ihr in heien Nchten als Zudecke diente, und kuschelte sich zurecht. Sie war zufrieden mit sich selbst, war richtig stolz auf sich, weil sie es geschafft hatte, das Gerede der Eltern beim Abendessen zu berhren und wirklich nur diesen einen Joghurt zu essen. Wenn sie das zwei oder drei Wochen durchhielte, wrde sie sicher zehn Pfund abnehmen. Ich bin stark genug dazu, dachte sie. Bestimmt bin ich stark genug dazu. Das hab ich ja heute Abend bewiesen. Glcklich rollte sie sich auf die Seite und schob ihr Lieblingskissen unter den Kopf. Eigentlich brauche ich berhaupt nicht mehr so viel zu essen. Heute die Schokolade war absolut unntig. Und wenn ich dann erst einmal schlank bin, kann ich ruhig abends wieder etwas essen. Vielleicht Toast mit Butter und dazu ein paar Scheiben Lachs. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, als sie an 28 29 diese rtlich gemaserten, in l schwimmenden Scheiben dachte. Sie liebte den pikanten, etwas scharfen Geschmack von Lachs sehr. Und dazu warmer Toast, auf dem die Butter schmolz! Eigentlich mochte sie scharfe Sachen sowieso lieber als dieses se Zeug. Man wurde auch nicht so dick davon. Gerucherter Speck mit Zwiebeln und Sahnemeerrettich schmeckte ebenfalls ausgezeichnet. Oder eine gut gewrzte Bohnensuppe! Nur ein einziges, kleines Stck Lachs knnte nicht schaden, wenn sie morgen frh sowieso anfing, richtig zu fasten. Aber nein, sie war stark! Sie dachte daran, wie oft sie sich schon vorgenommen hatte, nichts zu essen oder sich wenigstens zurckzuhalten, und immer wieder war sie schwach geworden. Aber diesmal nicht! Diesmal war es ganz anders. Mit der grten Ruhe wrde sie zusehen, wie ihr Bruder das Essen in sich hineinstopfte, wie ihre Mutter die Suppe lffelte und sie gleichzeitig laut lobte. Es wrde ihr nichts ausmachen, wenn ihr Vater in seiner pedantischen Art dicke Scheiben Schinken gleichmig auf das Brot verteilte und es dann noch sorgfltig mit kleinen, in der Mitte durchgeschnittenen Cornichons verzierte. Das alles wrde ihr diesmal nichts ausmachen. Diesmal wrde sie nicht mehr auf dem Heimweg nach der Schule vor dem Delikatessengeschft stehen und sich die Nase an der Scheibe platt drcken. Sie wrde nicht mehr hineingehen und fr vier Mark Heringssalat kaufen, um ihn dann hastig und verstohlen im Park mit den Fingern in den Mund zu stopfen. Diesmal nicht! Und nach ein paar Wochen wrden die anderen in der Schule sagen: Was fr ein hbsches Mdchen die Eva ist, das ist uns frher gar nicht so aufgefallen. Und Jungen wrden sie vielleicht ansprechen, so wie andere Mdchen, und sie einladen, mal mit ihnen in eine Diskothek zu gehen. Und Michel wrde sich richtig in sie verlieben, weil sie so gut aussah. Bei diesem Gedanken wurde ihr warm. Sie hatte das Gefhl zu schweben, leicht und schwerelos in ihrem Zimmer herumzuglei-ten. Frei und glcklich war sie. Eine kleine Scheibe Lachs wre jetzt schn. Eine ganz kleine Scheibe nur, lange hochgehalten, damit das l richtig abgetropft war. Das knnte doch nicht schaden, wenn sowieso jetzt alles gut wrde, wenn sie sowieso bald ganz schlank wre. Leise erhob sie sich und schlich in die Kche. Erst als sie die Tr hinter sich zugezogen hatte, drckte sie auf den Lichtschalter. Dann ffnete sie den Khlschrank und griff nach der Dose Lachs. Drei Scheiben waren noch da. Sie nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie hoch. Zuerst rann das l in einem feinen Strahl daran herunter, dann tropfte es nur noch, immer langsamer. Noch ein Tropfen. Eva hielt die dnne Scheibe gegen das Licht. Was fr eine Farbe! Die Spucke sammelte sich in ihrem Mund und sie musste schlucken vor Aufregung. Nur dieses eine 30 31 Stck, dachte sie. Dann ffnete sie den Mund und schob den Lachs hinein. Sie drckte ihn mit der Zunge gegen den Gaumen, noch ganz langsam, fast zrtlich, und fing an zu kauen, auch noch langsam, immer noch gensslich. Dann schluckte sie ihn hinunter. Weg war er. Ihr Mund war sehr leer. Hastig schob sie die beiden noch verbliebenen Scheiben Lachs hinein. Diesmal wartete sie nicht, bis das l abgetropft war, sie nahm sich auch keine Zeit, dem Geschmack nachzuspren, fast unzerkaut verschlang sie ihn. In der durchsichtigen Plastikdose war nun nur noch l. Sie nahm zwei Scheiben Weibrot und steckte sie in den Toaster. Aber es dauerte ihr zu lange, bis das Brot fertig war. Sie konnte es keine Sekunde lnger mehr aushaken. Ungeduldig schob sie den Hebel an der Seite des Gertes hoch und die Brotscheiben sprangen heraus. Sie waren noch fast wei, aber sie rochen warm und gut. Schnell bestrich sie sie mit Butter und sah fasziniert zu, wie die Butter anfing zu schmelzen, erst am Rand, wo sie dnner geschmiert war, dann auch in der Mitte. Im Khlschrank lag noch ein groes Stck Gorgonzola, der Lieblingskse ihres Vaters. Sie nahm sich nicht die Zeit, mit dem Messer ein Stck abzuschneiden, sie biss einfach hinein, biss in das Brot, biss in den Kse, biss, kaute, schluckte und biss wieder. Was fr ein wunderbarer, gut gefllter Khlschrank. Ein hartes Ei, zwei Tomaten, einige Scheiben Schinken und etwas Salami folgten Lachs, Toast und Kse. Hingerissen kaute Eva, sie war nur Mund. Dann wurde ihr schlecht. Sie merkte pltzlich, dass sie in der Kche stand, dass das Deckenlicht brannte und die Khlschranktr offen war. Eva weinte. Die Trnen stiegen ihr in die Augen und liefen ber ihre Backen, whrend sie mit langsamen Bewegungen die Khlschranktr schloss, den Tisch abwischte, das Licht ausmachte und zurck ging in ihr Bett. Sie zog sich das Laken ber den Kopf und erstickte ihr Schluchzen im Kopfkissen. 32 33 5 Am nchsten Morgen wachte Eva mit brennenden Augen auf. Erst wollte sie zu Hause bleiben, im Bett liegen, krank sein, sie wollte nicht aufstehen und wieder in der Schule sitzen, leidend und verbittert, und sich an die letzte Nacht erinnern. Und an die vielen Nchte davor. Mde zog sie das Laken ber sich. Die Mutter kam herein. Aber Kind, es ist schon sieben. Steh doch endlich auf! Und als Eva keine Anstalten machte, das Laken vom Kopf zu ziehen: Fehlt dir was? Bist du krank? Eva setzte sich auf. Nein. Aber Kind, hast du was? Was ist denn los? Die Mutter war auf Eva zugekommen und hatte die Arme um sie gelegt. Einen Moment lang, einen winzigen Moment lang, lie sich Eva in diese Arme fallen. Die Mutter roch warm und gut, noch ohne Blendamed und Haarspray. Doch dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Ich habe schlecht geschlafen, sagte sie. Das ist alles. In der Schule war es wie immer, seit Franziska neu in die Klasse gekommen war, Franziska, die seltsamer- weise noch immer neben Eva sa, nach vier Monaten immer noch. Eva hatte lang allein gesessen, fast zwei Jahre lang, an dieser Bank ganz hinten am Fenster. Frher einmal war es Karola gewesen, die ihr morgens erzhlt hatte, was gestern alles passiert war, und Eva, was passierte schon bei ihr, hatte es aufgesogen wie ein Schwamm, hatte Karolas Leben miterlebt, Geburtstagsfeiern, Kinobesuche, die berhmte Schauspielertante, den Reitunterricht, alles hatte Eva miterlebt, bis das Miterleben schal wurde und verblasste in der Eifersucht. Karola und Lena, Lena und Karola. Lena, die Elegante. Lena kann auch reiten! Findest du das nicht toll? Fr nchsten Sonntag haben wir uns verabredet. Eva hatte genickt. Toll. Eva hatte Karola weiter abschreiben lassen, hatte gelchelt, hatte Ja gesagt und Nein gemeint, htte schreien wollen, brllen, der Lena die langen, blonden Haare ausreien, aber sie hatte gelchelt. Und bei der nchsten Gelegenheit hatte sie den Platz in der letzten Reihe am Fenster gewhlt. Allein. Karola und Lena saen in der Bank vor ihr. Eva konnte die morgendlichen Gesprche hren: Mensch, Lena, gestern bei der Party habe ich ...! Meine Mutter hat mir einen Pulli mitgebracht, Spitze, sag ich dir! Eva konnte auch sehen, wie Karola der Lena die Hand streichelte. Eva wusste, wie weich Karolas Hnde waren. 34  35 Und dann war der Tag gekommen, vor vier Monaten, dass Franziska in der Tr gestanden hatte, langhaarig, schmal. Ja, ich komme aus Frankfurt. Wir sind umgezogen, weil mein Vater hier eine Stelle an einem Krankenhaus bekommen hat. Und Herr Hochstein hatte gesagt: Setz dich neben Eva. Franziska hatte Eva die Hand gegeben, eine kleine Hand, kleiner als Bertholds, und sich gesetzt. Herr Hochstein hatte sie gefragt, was sie denn in ihrer letzten Schule zuletzt durchgenommen hatten in Mathe. Und als er feststellte, dass sie ziemlich weit zurck war, wandte er sich an die Klasse und sagte mit einem Lcheln, das kein Lcheln war, einem Lcheln, das seinen Mund nur in die Breite zog, einem Lcheln, das Eva schon lange auf die Nerven gegangen war: Franziska wird lange brauchen, bis sie unseren bayerischen Standard erreicht haben wird. Eva sah, dass Franziska rot wurde. Sie sah sehr jung aus, verlegen wie Berthold unter Vaters Bemerkungen. Und Eva stand auf und sagte ganz laut: Herr Hochstein, wollen Sie damit sagen, dass wir in Bayern klger sind als die in Hessen? Karola drehte sich um. Gut, flsterte sie. Aber nein, stotterte Herr Hochstein, dem schadenfrohen Grinsen der Mdchen ausgeliefert, so war das nicht gemeint. Es ist nur der Lehrplan, weit du ...! Eva war ber sich selbst erschrocken. Danke, flsterte das Mdchen neben ihr. Als die Stunde vorbei war, wandte sich Herr Hochstein noch einmal an Franziska. Du hast Glck, dass du neben unserem Mathe-As sitzt. Eva knnte dir viel helfen. Diesmal war Eva nicht ganz sicher, ob es wirklich spttisch gemeint war. Es klang fast wie ein gut gemeinter Rat. Franziska sa immer noch neben Eva. Und sie war immer noch ziemlich schlecht in Mathe, obwohl Eva ihre alten Hefte herausgekramt und sie ihr gleich am nchsten Tag gegeben hatte. Und immer noch sprach sie Eva an, redete mit ihr ber Lehrer und gab ihr morgens zur Begrung die Hand. Ist etwas passiert? Nein. Wieso? Weil du so aussiehst. Ich habe Kopfschmerzen. Und warum bist du dann nicht zu Hause geblieben? Eva antwortete nicht. Sie packte ihre Bcher aus. Sie hasste diesen Raum. Sie hasste dieses Haus. Jeden Tag, immer wieder! ber vier Jahre lagen hinter ihr und ber vier Jahre vor ihr. Sie konnte sich das fast nicht vorstellen. Erste Stunde Herr Hochstein, Mathe, zweite Stunde Frau Peters, Deutsch, dritte Stunde Frau 36 37 Wittrock, Biologie, vierte Stunde Herr Kleiner, Englisch, fnfte Stunde Herr Hauser, Kunst, sechste Stunde Frau Wendel, Franzsisch. Und in allen Fchern musste sie gut sein. Ein Test in Englisch. Gelernt hatte sie gestern noch. Aber Karola, in der Bank vor ihr, sthnte: Und das bei diesem Wetter. Gestern war ich bis sieben im Schwimmbad. Diese Gans, dachte Eva. Immer beklagt sie sich, aber nie tut sie was. Sie ist selbst schuld. Franziska, gibst du mir einen Spickzettel?, bat Karola flsternd. Franziska, die eine englische Mutter hatte und besser Englisch sprach als Herr Kleiner, nickte. Eva begann zu schreiben. Franziska schob ihr einen Zettel zu. Fr Karola, sagte sie leise. Eva schob den Zettel zurck. Sei doch nicht so. Gib weiter. Eva schttelte den Kopf, sie schaute nicht auf, bewegte den Kopf kaum merklich und htte ihn doch schtteln wollen, deutlich sichtbar, htte am liebsten laut Nein geschrien und Sie geht schwimmen, sie geht auf Partys, sie geht tanzen, sie erlebt immer etwas! Warum soll sie auch noch gute Noten haben? Franziska hatte das winzige Kopfschtteln gesehen, sie beugte sich vor, schrg rber, und lie den Zettel ber Karolas Schulter fallen. Herr Kleiner war mit ein paar Schritten da, griff nach Franziskas Blatt und legte es auf seinen Tisch. Mit seinem roten Filzschreiber zog er quer ber das Geschriebene einen dicken Strich. Niemand sagte ein Wort. Franziska sa mit unbeweglichem Gesicht da. Sie ist selbst schuld, dachte Eva. Ganz allein ist sie schuld. Niemand hat sie gezwungen, das zu tun. Und dann dachte sie noch: Karola ist auch schuld. Warum tut sie nie etwas und will hinterher, dass andere ihr helfen? In der Pause ging Franziska nicht neben Eva her. 38 39 6 Eva war um drei am Brunnen. Sie hatte den dunkelblauen, engen Rock angezogen, dunkle Farben strecken, und die dunkelblaue Bluse, die die Schmidhuber ihr zum Sommer genht hatte. Michel war noch nicht da. Eva wischte mit der flachen Hand ber die Brunnenmauer. Der Staub stob hoch und sank langsam zurck. Sie rgerte sich ber die grauen Wolken auf ihrem Rock, und beim Versuch, sie wegzuwischen, rieb sie den hellen Staub erst recht in das dunkelblaue Leinen. Die Steine waren hei. Lange hielt sie es nicht aus, da in der Sonne, auffllige Statue auf dem Brunnenrand. Sie setzte sich unter einen Baum. Er kommt sicher nicht, dachte sie. Warum sollte er auch kommen? Er kann ganz andere Mdchen haben, schlanke, schne. Sie pflckte ein Gnseblmchen und drehte es langsam zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Warum warte ich? Ich wei doch, dass er nicht kommt. Auf Karola habe ich auch so gewartet, damals, und ich stand an der Straenecke, fast eine Stunde, bis ich dann heimging. Und am nchsten Tag war Karola berrascht, hatte es einfach vergessen, nur so. Tut mir Leid, Eva, bei uns war pltzlich so ein Trubel. Meine Tante ist gekommen, ja, die. Du weit schon. Und Eva hatte gewusst, verstanden, genickt, gelchelt. Michel war immer noch nicht da. Natrlich nicht. Er wrde nicht kommen. Nach einer Stunde wrde Eva traurig und enttuscht nach Hause gehen, wrde sich auf ihr Bett legen und weinen. Dann wrde sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser waschen, vielleicht ein Stck Schokolade essen und lcheln. Schon viel frher hatte sie sich Schokolade in den Mund gesteckt und gelchelt. Komisch, dass ihr das jetzt einfiel. Das war gewesen, als Erika weggezogen war, Erika, die Freundin, mit der sie schon zusammen im Kindergarten gewesen war. In der zweiten Klasse waren sie gewesen, als Erikas Eltern wegzogen und ihr Erika wegnahmen. Die Mutter hatte Eva in den Arm genommen und ihr eine Tafel Schokolade gegeben. Was soll man da machen?, hatte sie die Schmidhuber gefragt. Sie ist halt so sensibel. Und die Schmidhuber hatte genickt und Ja, ja gesagt. Und Eva hatte die Schokolade gegessen, hatte sie im Mund zergehen lassen, herrliche, stumpfe Se, hatte sie geschluckt und geschluckt, die Se, hatte die Se und die Trnen geschluckt und hatte in die Beruhigung ihres Mundes und ihres Bauches hineingelchelt. Siehst du, Marianne, hatte die Schmidhuber gesagt, es gibt doch keinen Kummer, den man nicht mit etwas Gu- 40 41 tem ein bisschen versen knnte. Eva hatte gelchelt. Und nie hatte sie Erikas Briefe beantwortet. Sie zupfte dem kleinen Gnseblmchen ein Bltenblatt aus: Er liebt mich, ein zweites: von Herzen, ein drittes: mit Schmerzen, ein viertes: ein wenig, ein fnftes: nein, gar nicht. Es war nicht leicht, dem kleinen Gnseblmchen die noch kleineren Bltenbltter wirklich einzeln auszureien. Als Eva schon ber die Hlfte war, er liebt mich, von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig, nein, gar nicht, versuchte sie, mit den Augen die weien Blttchen abzutasten, herauszufinden, wie es enden wrde. Das Gnseblmchen sah sehr nackt aus, sehr zerrupft. Wtend warf Eva es ins Gras. Wie lange sa sie schon da? Sie hatte keine Uhr. Der Rasen war ausgedorrt, trocken, graugrne Grasbschel, kurzstoppelig gemht, nur ab und zu ein winziges Gnseblmchen. Hallo, Eva. Hallo, Michel. Ich komme zu spt. Ja. Ich dachte, du wrdest mich sowieso versetzen. Wieso sollte ich das? Ich wei nicht. Halt so. Er trug dasselbe Hemd wie gestern, schwarz, die Zipfel waren so zusammengeknotet, dass man einen Streifen seines braunen Bauches sehen konnte. Er setzte sich neben sie. Wo hast du dein Schwimmzeug? Ich mag nicht ins Schwimmbad gehen. Das ist gut. Ich habe nmlich immer noch kein Geld. Er sah mrrisch aus, schlecht gelaunt. Ist was?, fragte sie. Was soll sein? Er zupfte Grashalme aus, riss sie in kleine Stckchen, graugrne, staubige Halme. Er hielt den Kopf gesenkt und schaute auf seine rupfenden Finger, seine braunen, langen Haare fielen nach vorn, verdeckten sein Gesicht, so dass Eva nur noch seine Nasenspitze sehen konnte. Die Worte saen ihr im Hals, all die lockeren, lustigen Worte, die sie hatte sagen wollen, die Witze, die sie gern gemacht htte, das Lachen, das sie gern gelacht htte, alles war ihr im Hals stecken geblieben, ballte sich zu einem dicken Klo und lie sie schwer atmen. Es war so still. Sie bemhte sich, leise tief durchzuatmen, sie wollte nicht keuchen wie ein Walross. Keuchten Walrosse berhaupt? Warum sagte er nichts? Warum sagte sie nichts? War es das, auf das sie gewartet hatte? Pltzlich sprang Michel auf. Komm, wir gehen zum Fluss. Wir nehmen die Straenbahn, dann geht's ganz schnell. Endhaltestelle der Linie sieben. Sie waren schwarzgefahren. Michel hatte kein Geld, er hatte auch nicht 42 43 gewollt, dass Eva eine Karte kaufte. Schade um das schne Geld. Dafr kriegen wir eine Cola. Sie liefen durch die Stadtrandsiedlung, ein Haus wie das andere, lange Reihen gleicher Huser, gleicher Grten, gleicher Zune. Wenn da einer blau nach Hause kommt, findet er seine eigene Tr nicht mehr und landet bei der Nachbarin im Schlafzimmer, sagte Michel und lachte. Eva, unsicher, betroffen, lachte mit. Stell dir vor, bei der Nachbarin im Schlafzimmer! Und morgens merkt er erst, dass er nicht mit seiner Alten gepennt hat. Michels Lachen klang falsch. Sie gingen schweigend weiter, an einem unkrautberwucherten Platz vorbei, Mllabladen-verboten-Schild ber zerbrochenen Bierflaschen und leeren lsardi-nendosen. Zerbeulte Konservenbchsen, ein alter Gummistiefel. Gelb. Den Hang hinunter ging Michel vor. Breitbeinig, den linken Arm ausgestreckt, sttzte er Eva, die keinen Halt fand mit ihren glatten Sandalen, sich nicht richtig bewegen konnte in ihrem engen, blauen Rock, der nicht mehr sehr blau war, und die unbeholfen, unglcklich ber ihre eigene Ungeschicklichkeit, hinter Michel den Hang hinunterrutschte. Dann waren sie endlich unten am Fluss. Es war nicht eigentlich der Fluss, es war ein kleiner Seitenarm, seichter Wasserlauf zwischen Unkraut, an einer Stelle Holunderbsche, die weien Bltendolden verbreiteten einen scharfen Ge- ruch. Eva, atemlos von der Anstrengung, keuchte laut. Wie ein Walross, dachte sie. Nun keuche ich doch wie ein Walross. Michel schaute sie vorsichtig an. Gefllt es dir hier? Gefallen? Im Unkraut? Am Kieshang mit diesen sprlichen, mageren Hecken? Ginster, sagte Eva. Ich mag Ginster sehr gern. Ich habe frher mal in dieser Gegend gewohnt. Mein Bruder und ich haben hier manchmal ein Nachbarmdchen hergeschleppt. Er wurde rot. Zum Doktorspielen. Michel zog seine Turnschuhe aus und krempelte die Jeans bis zu den Knien. Komm, sagte er. Gehn wir ein bisschen ins Wasser. Es ist nicht tief. Eva bckte sich. Ihr Rock war ganz schn dreckig. Warum waren sie nicht ins Gartencafe gegangen? Sie hatte ja Geld. Oder wirklich an den Fluss, da, wo man in den Anlagen spazieren gehen konnte? Das Wasser war kalt und gar nicht so schmutzig. Zieh doch deinen Rock aus, dann kannst du besser laufen, sagte Michel. Eva schttelte wild den Kopf, zerrte den Rock ein bisschen hher, nicht viel, nur ein bisschen ber die Knie. Hier ist doch niemand, rief Michel. Er stand am Rand, zog seine Jeans und das Hemd aus. Er trug eine Badehose darunter, schwarz wie sein Hemd. Niemand? Hier ist niemand?, dachte Eva. Glaubt er 44 45 im Ernst, ich wrde hier in Unterhosen rumlaufen? Wenn er dabei ist? Wenn ich doch wenigstens die schwarze Trikothose anhtte! Aber die weie mit den rosa Blmchen, unmglich! Michel sa am Rand und buddelte mit den Hnden ein Loch. So haben wir das frher immer gemacht. Schau! Das wird der Ozean. Mit dem Finger zog er eine Rinne vom Wasserrand zu der Vertiefung. Und das hier ist ein Fluss. Der fllt jetzt das Meer. Eva hufte Erde an das Ufer. Und das ist ein Berg. Sie pflckte Grser und Zweige und steckte sie in den Berg. Bume. Michel lachte. Er begann, mit flachen Kieselsteinen einen Weg anzulegen, einen gewundenen Weg den Berg hinauf. Und oben, ganz oben, msste ein Haus stehen. Dann knnte man abends den Mond ber dem Meer sehen. Hast du das schon mal gesehen? Ja, antwortete Eva. Wir waren vor zwei Jahren in Italien. In Grado. Ich war schon dreimal in den groen Ferien bei meinem Onkel in Hamburg. Er ist mein Patenonkel. Sie schwiegen beide. Michel baute auch noch das Steinhaus. Wie Dampfnudeln sehen meine Knie aus, dachte Eva. Michel hat schne Beine. Richtig schne, braune Beine. Michel sagte: Komm ein bisschen m den Schatten. Hinter den Holunderbschen, unter dem beienden Geruch, breitete er sein Hemd auf dem Boden aus, die rechte Seite nach oben. Hier. Sie lagen nebeneinander. Eva lag gern auf dem Rcken. Sie konnte dann, wenn sie mit ihren Hnden darber fuhr, ihre Beckenknochen fhlen, im Liegen war fast kein Speck darber, die Haut spannte sich weich ber dem Knochen. Und ihr Bauch war flach, wenn sie auf dem Rcken lag. Michel rckte nher. Er legte seine Hand auf ihre Brust. Nein, sagte Eva laut. Michels Stimme klang anders als vorher. Sei doch nicht so zickig. Nein, sagte Eva noch einmal. Sie setzte sich und zerrte ihren Rock ber die Knie. Blde Kuh, sagte Michel, sprang auf und lief zum Wasser. Er lie sich ganz hineinfallen, tauchte unter, prustete laut und tauchte wieder unter. Nach einer Weile kam er heraus. Ich will gehen. Eva klopfte an ihrem Rock herum, versuchte, die staubigen Spuren zu verwischen. Michel zog, nass wie er war, seine Jeans an, schttelte sein Hemd aus und band es sich um den Bauch. Den Hang hinauf gingen sie ganz schrg, ganz langsam. Michel zog Eva an der Hand hinter sich her. Oben angekommen, sagte er: Das mit der blden Kuh hab ich nicht so gemeint. Ist schon gut. 46 47 Sie gingen nebeneinander her. Hast du schon mal einen Freund gehabt? Nein. Ach so. Und du, hast du schon eine Freundin gehabt? Ja. Ich kenne viele Mdchen. Aber keine wie dich. Wie sind die Mdchen, die du kennst? Michel zuckte mit den Achseln. Anders halt, sagte er unbestimmt. Nach einer Weile hielten sie sich an den Hnden beim Gehen, sie schauten sich an und lachten. Sie waren schon lngst an der Endhaltestelle der Linie sieben vorbei. Komm, rennen wir ein bisschen, sagte Michel. Ich kann nicht gut rennen, wehrte Eva ab. Du musst ein bisschen abnehmen, dann kannst du auch besser rennen. Eva zuckte zusammen, lie aber ihre Hand in seiner. Ich habe vier Brder und drei Schwestern, sagte Michel. Das sind ja acht Kinder! Um Gottes willen! Das sagt jeder, der es hrt, sagte Michel. Als ob das ein Verbrechen wre. Nein, so nicht. Aber es ist doch selten, dass eine Familie so viele Kinder hat. Wir sind zwei, mein kleiner Bruder und ich. So schlimm ist es auch wieder nicht, acht Kinder. Da, wo ich wohne, haben die meisten Leute mehrere Kinder. Es gibt sogar eine Familie, die haben zwlf. Bei uns sind nur noch sechs zu Hause, meine Schwester ist verheiratet und mein Bruder ist bei der Bundeswehr. Es ist also nicht so schlimm. Nur Geld haben wir nicht viel. Also Taschengeld habe ich noch nie bekommen. Macht dir das nichts aus? Doch, natrlich. Aber ich trage jeden Donnerstag den Stadtanzeiger aus, die Arbeit habe ich von meinem Bruder geerbt, nicht von dem bei der Bundeswehr, von Frank, der ist im ersten Lehrjahr. Dafr kriege ich immer zwanzig Mark. Morgen habe ich wieder Geld. Gehst du am Samstag mit mir ins Kino? Ja, gern. Morgen kann ich nicht, wegen dem Anzeiger. Hast du am Freitag Zeit? Eva schttelte den Kopf. Freitags habe ich Klavierstunde. Auerdem muss ich zu Hause helfen beim Put- zen. Michel grinste. Bei uns wird auch freitags geputzt. Und samstags ist schon wieder der grte Verhau. Es war spt geworden. In der Straenbahn, diesmal mit Karte und gestempelt, nachdem sie drei Haltestellen weit gelaufen waren, dachte Eva an den Krach, den sie zu Hause bekommen wrde. Unbehaglich rutschte sie hin und her. Musst du pinkeln?, fragte Michel. Eva schaute sich erschrocken um. Nein, flsterte 48 49 sie. Aber es ist schon gleich halb acht. Ich kriege Krach zu Hause. Mit fnfzehn noch? Meine Schwester hat mit sechzehn geheiratet. Du kennst meinen Vater nicht, sagte Eva. Sie hat heiraten mssen, sagte Michel. 7 Eva ffnete die Wohnungstr. Eva?, rief die Mutter aus der Kche. Ja. Die Mutter kam heraus und trocknete sich die Hnde an der Schrze ab. Da bist du ja endlich. Wo hast du nur so lange gesteckt? Wir haben schon gegessen. Der Papa ist bse. Du weit doch, dass wir alle um halb sieben da sein sollen. Damit er was zum Kommandieren hat. Sei nicht frech. Eva zuckte mit den Schultern, zuckte die Mutter weg, das Nrgeln, htte Watte in den Ohren haben mgen, nichts mehr hren, Mutter in der hellblauen Schrze, mit den Wasserflecken darauf, Mutter, die sie mit groen Augen ansah, porzellanblauen, waschblauen, verwaschenen Augen. Michels Schwester hatte mit sechzehn geheiratet. Ich bin kein kleines Kind mehr, sagte Eva. Das sagte sie auch zu ihrem Vater, der schon vor dem Fernsehapparat sa, tief in den Sessel gerutscht, die Fe auf einem Stuhl, neben sich auf dem Couchtisch Zigaretten und Aschenbecher. Ich bin kein kleines Kind mehr, sagte sie. 50  51 Der Vater schaute sie misstrauisch an. Wo warst du denn? Spazieren am Fluss. Allein? Eva zgerte. Mit einer Freundin, sagte sie. Das nchste Mal bist du um sieben zurck, verstanden? Eva biss in einen Apfel. Ja, antwortete sie mrrisch. Andere aus meiner Klasse drfen heimkommen, wann sie wollen. Das kann schon sein. Aber bei uns ist das anders. Ich will nicht, dass du dich abends irgendwo rumtreibst. Solange du zu Hause bist und ich die Verantwortung habe, richtest du dich nach dem, was ich sage. Eva biss wieder in den Apfel und lie sich auf den freien Sessel fallen. Was gibt's im Fernsehen? Wetten, dass ... Eva ging in ihr Zimmer. Sie konnte lange nicht einschlafen an diesem Abend. Es war sehr schwl. Am nchsten Morgen in der Pause sagte Eva zu Fran-ziska: Das tut mir Leid, das mit dem Englisch-Test gestern. Nicht so schlimm, meine Note kann es nicht versauen. Ich habe es nicht wegen dir nicht weitergegeben. Ich wei. Was weit du? Karola hat gesagt, du wrst immer noch eiferschtig, weil Lena ihre Freundin ist. Eva taten die Finger weh, so fest presste sie das Buch. So toll ist sie ja nun auch wieder nicht, dass ich ihr so lange nachweinen wrde. Sie schlug ihr Buch auf und fing an zu lesen. Fran-ziska blieb neben ihr auf dem Sockel des Zaunes sitzen. Warst du sehr sauer damals? War sie sauer gewesen? Nein, nicht sauer. Sauer war nicht das richtige Wort. Enttuscht war sie gewesen, verletzt, traurig. Eine Art trauriges Staunen hatte sie empfunden, dass es so etwas gab, dass es ihr passieren musste, dass sie pltzlich dastand mit ihren Gefhlen fr Karola und dass Karola diese Gefhle nicht mehr brauchte. Nein, sauer war sie nicht gewesen. Traurig war sie gewesen und es hatte sehr wehgetan. Aber das ging niemand etwas an, am wenigsten Franziska. Eva merkte, wie ihr die Trnen in die Augen stiegen. Sie senkte den Kopf. Doch Franziska hatte es schon gesehen. Sie legte ihr den Arm um die Schulter. Am liebsten htte Eva den Arm abgeschttelt, aber sie traute sich nicht. So saen sie, bis das Klingelzeichen ertnte. An diesem Mittag a Eva Krabbensalat im Park. Abends, im Bett, dachte Eva wieder daran, an Franzis-kas Arm auf ihrer Schulter, an die Hand, die ihr ber 52  53 den Oberarm gestreichelt hatte, sie dachte an Michel, der seine Hand auf ihre Brust gelegt hatte. Sie dachte an Erika und Karola, vor allem an Karola. Und da musste sie wieder weinen. Sie vergrub ihren Kopf in das Kissen und biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien. Ihr Gesicht im Kissen war hei, sie legte sich auf die Seite, drehte das Kissen, um eine khle Stelle fr ihre heie Backe zu finden. Ich leide, dachte sie. So ist leiden und eigentlich sollte ich froh sein. Ich habe Michel kennen gelernt und Franziska sitzt neben mir. Warum leide ich? Das andere ist schon so lange her, warum kann ich es nicht vergessen? Langsam wurden ihre Schluchzer leiser, sanfter, der Druck auf ihrem Bauch lie nach, fast trstlich war das Weinen jetzt. Eva schlief ein. Als sie aufwachte, war es lange nach Mitternacht. Sie knipste die Nachttischlampe an. Sie fhlte sich verschwitzt und pappig und sehr traurig. Es war immer noch ziemlich hei in ihrem Zimmer. Natrlich, sie hatte vergessen, das Fenster aufzumachen. Deshalb war es auch so stickig hier. Sie ffnete vorsichtig das Fenster. Es klemmte immer ein bisschen. Sie erschrak bei dem knarzenden Gerusch, das sehr laut klang in der Stille der Nacht. Sie atmete tief durch. Die Luft war lau und die Sterne standen sehr hoch am Himmel. Hinter den Dchern kroch schon der hellgraue Schimmer der Morgendmmerung. Was fr ein Sommer, dachte Eva. Im Haus gegenber war noch Licht, im ersten Stock, in der Wohnung der alten Grabers. Sie lebten mit ihrer auch schon ltlichen Tochter zusammen, die man fast nie sah. Morgens huschte sie zur Arbeit und kam gegen fnf zurck, mit Einkaufstten in beiden Hnden. Die alten Grabers saen immer, wenn es das Wetter erlaubte, auf dem Balkon und schauten hinunter auf die Strae. Eva war schon oft aufgefallen, dass sie kaum miteinander redeten. Fast unbeweglich saen sie da und starrten hinunter. Im letzten Sommer hatte der alte Graber einen Schlaganfall gehabt. Er war vom Notarzt mit Blaulicht und Sirene in die Klinik gefahren worden. Viele Wochen lang sa die alte Frau allein auf dem Balkon. Beim Einkaufen, als Eva darauf wartete, dass die Metzgersfrau ihr das Gulasch schnitt, hatte sie eine Frau sagen hren: Die Grabers knnen froh sein, dass sie eine so gute Tochter haben. Wo gibt es denn so etwas noch, heutzutage! Michels Schwester hatte mit sechzehn Jahren heiraten mssen! Eva berlegte, wer von den Grabers wohl noch wach war um diese Zeit. Die gute Tochter? Oder ging es dem alten Graber wieder schlecht? In diesem Moment ging das Licht aus. Wahrscheinlich war nur 54  55 einer auf dem Klo gewesen oder hatte sich eine Kleinigkeit zu essen gemacht. Eva war sehr hungrig. Sie schlich sich in die Kche. Gerade als sie sich bequem hingesetzt hatte und einen Joghurt lffelte, ging hinter ihr die Kchentr auf. Erschrocken fuhr sie herum. Es war ihre Mutter. Sie sah etwas verquollen aus, blinzelte im hellen Licht und fuhr sich mit dem Handrcken ber die Augen. Ich habe dich gehrt, und weil ich nicht schlafen konnte, dachte ich, wir knnten vielleicht eine Tasse Tee miteinander trinken. Eva nickte. Die Mutter lie den Wasserkessel voll laufen und stellte ihn auf die Herdplatte. Hast du Hunger? Soll ich dir ein Spiegelei machen? Ja, bitte. Die Mutter hantierte schnell und geschickt am Herd. Wie anders sie nachts aussah. So gefllt sie mir eigentlich viel besser, berlegte Eva. Dann stand der Teller mit dem Spiegelei vor ihr, wei, mit gelbem Dotter, fast orangefarben war der Dotter, die Mutter streute immer noch etwas roten Paprika drauf, fr's Auge, das Auge isst mit, und um den knusprigen Rand herum floss die braune Butter. Hier, Eva, nimm noch ein Stck Weibrot. Eva fing an zu essen. Die Mutter stellte noch die Teekanne und zwei Tassen auf den Tisch. ber die Gabel mit Ei hinweg, die sie gerade zum Mund fhrte, lchelte Eva sie an. Die Mutter lchelte unsicher zurck. Sie saen da und schauten sich an. In diesem Moment ging die Tr auf. Eva drehte sich um. Ihr Vater stand da, mit wirren Haaren, die Schlafanzugjacke war nicht ganz zugeknpft und lie einen Teil seiner haarigen Brust frei. Eva drehte ihm schnell wieder den Rcken zu. Was macht ihr denn da? Wir konnten nicht schlafen. Die Mutter schaute zum Vater hin. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Ist gut, murmelte der Vater. Aber komm bald wieder ins Bett. Die Tr klappte zu. Eva wartete eine Weile. Dann sagte sie: Ich war mit einem Jungen am Fluss. Das habe ich mir gedacht, weil du noch nie so lange weg warst. Ist es ein netter Junge? Ja, er ist sehr nett. Der Papa meint, ich sollte mal mit dir reden, dich vor den Mnnern warnen. Aufzuklren brauchst du mich nicht mehr. Ich wei das alles. Die Mutter wurde rot. So habe ich das nicht gemeint. Aber die Jungen sind manchmal aufdringlich, und ein Mdchen, das was auf sich hlt... Mama, ich wei, was ich zu tun habe. Na ja, die Mutter seufzte. Ich habe ja auch dem Papa gesagt, jeder muss seine Erfahrungen selbst machen. Ich habe auch nicht auf meine Mutter gehrt, damals, habe ich gesagt. 56 57 Eva lachte. Ich glaube, du bist mde. Du fngst schon an zu reden wie die Oma. Da ist aber was dran, glaub mir das. Ich habe mir auch alles anders vorgestellt. Die Mutter sah traurig aus. Du solltest dir eine Stelle suchen oder sonst irgendwas, damit du mal hier aus dem Haus herauskommst und nicht nur zur Schmidhuber. Und der Haushalt? Du weit doch, wie dein Vater ist. Papa ist nur so, weil du dir alles gefallen lsst. Die Mutter antwortete nicht. Als die Tassen leer waren, rumte sie den Tisch ab. Eva stand auf. Die Mutter legte den Arm um sie. Gute Nacht, mein Mdchen, schlaf gut! Eva drckte sich an sie. Die Mutter streichelte ihr ber den Rcken und die Haare. Gute Nacht, Mama. 8 Eva stand im Badezimmer vor dem Spiegel. Zum Glck gab es in der ganzen Wohnung keinen groen Spiegel auer dem auf der Innenseite einer Tr des Schlafzimmerschrankes. Eva ging ganz nah an den Spiegel, so nah, dass sie mit ihrer Nase das Glas berhrte. Sie starrte sich in die Augen, graugrn waren ihre Augen, dunkelgrau gesumte Iris, grnliche, sternfrmige Maserung. Ihr wurde schwindelig. Sie trat einen Schritt zurck und sah wieder ihr Gesicht, umrahmt von Odolflaschen und Zahnbrsten, rot, blau, grn und gelb. Mutters Lippenstift lag da. Eva nahm ihn und malte ein groes Herz um dieses Gesicht im Spiegel. Sie lachte und beugte sich vor zu diesem Gesicht, das so fremd war und so vertraut. Du bist gar nicht so bel, sagte sie. Das Gesicht im Spiegel lchelte. Du bist Eva, sagte sie. Das Gesicht im Spiegel formte einen Kussmund. Die Nase war ein bisschen zu lang. Das ist Evas Nase, sagte Eva. Sie ffnete ihren Pferdeschwanz, lie die Haare auf die Schultern fallen, lange Haare, lockig, fast kraus. Sie zog sich mit dem Kamm einen Scheitel in der Mitte, kmmte die Haare mehr nach vorn. So war es richtig. Wrde es Michel gefallen? Sie schob ihre Lippen etwas vor, warf sie auf, 58  59 nur ein bisschen, und senkte die Lider. Schn verrucht sah sie jetzt aus, fast wie eine Schauspielerin in einer Illustrierten. Sie schminkte sich die Lippen. Sie machte es langsam, ganz vorsichtig, und biss dann auf ein Tempotaschentuch, drckte die Lippen auf dem Papier zusammen, wie sie es bei der Mutter gesehen hatte. Es klopfte an die Tr. Wer ist denn drin? Das war Berthold. Ich. Mach schnell, ich muss dringend. Eva griff nach der Klopapierrolle, riss einige Bltter ab und wischte das Herz weg. Dann erst ffnete sie die Tr. Wie siehst du denn aus?, fragte Berthold. Eva fiel zum ersten Mal auf, dass er wie ihr Vater sprach. Gefallt es dir nicht? Nein. Du siehst aus wie ein Zirkuspferd. Eva lachte. Mir gefllt es. Mir gefllt es sogar sehr gut. Warte nur, bis Papa dich so sieht. Aber der Vater sah sie nicht. Er schlief noch, hielt sein Samstagnachmittag-Schlfchen, machte sein Nickerchen, das meistens bis zur Sportschau dauerte. Gefllt es dir, Mama? Die Mutter zgerte. Ganz anders siehst du aus, sagte sie. Ein bisschen wild. Eva nahm ihren blauen Regenmantel. Sie war froh ber das schlechte Wetter, mit dem Mantel sah sie nicht so dick aus. Tschss, Mama. Viel Spa, Kind. Und vergiss nicht, um zehn Uhr. Ja, ja, sagte Eva und zog leise die Tr hinter sich zu. Der Vater schlief. Michel hatte sie erstaunt angesehen. Siehst gut aus. Dann saen sie in einem Cafe und tranken Cola. Eva mochte Cola eigentlich gar nicht so besonders. Michel hatte bestellt, ohne sie zu fragen. Normalerweise bin ich samstags immer im Freizeitheim, sagte er. Er trug ein weies Hemd, fast bis zum Nabel offen, und eine dunkelblaue Kordjacke. Richtig ordentlich sah er aus. Was macht ihr da, im Freizeitheim? Alles Mgliche. Samstags tanzen wir meistens. Ein paar von den Jungen machen eine irre Musik. Michel sah ganz stolz aus. Einer von ihnen ist mein Freund. Er spielt E-Gitarre. Gr dich, Eva, sagte jemand. Eva sah auf. Vor ihr stand Tine. Gr dich, sagte Eva. Tine sah Michel neugierig an. Sie blieb einfach stehen und schaute Michel an. Der Junge neben ihr, ein schlaksiger, dnner mit langen, blonden Haaren, legte den Arm um sie und wollte sie weiterziehen. Komm endlich. Ich habe Durst. 60 61 Tine fragte: Ist das dein Freund? Aber sie schaute Eva nicht an dabei. Wenn du nichts dagegen hast, antwortete Michel. Tschss, rief Tine und verschwand, von dem Langhaarigen gezogen, im hinteren Teil des Cafes. Wie die dich angesehen hat. Wer war das? Ein Mdchen aus meiner Klasse. Genierst du dich nicht mit mir? Eva war verblfft. Wieso denn? Na ja, weil ich ja nur in die Hauptschule geh, ich bin ja nichts Besonderes. Nichts Besonderes, dachte Eva. Die Hauptschule sieht man nicht, aber meinen dicken Hintern sieht jeder. Laut sagte sie: Du solltest das nicht so wichtig nehmen. Es ist doch eigentlich egal, in welche Schule jemand geht. Es sagt noch nicht einmal was darber aus, wie intelligent man ist. Das sagst du so, antwortete Michel. Ich bin noch nie mit einem Mdchen gegangen, das im Gymnasium ist. Ein bisschen komisch ist das schon. Ist denn an mir was anders? Viel. Was denn?... Ich wei nicht. Viel halt. Eva htte gern gefragt: Bin ich besser? Sie htte gern gewusst, genau gewusst, was Michel mit den anderen gemacht hatte. War er auch mit ihnen am Fluss gewesen? Aber die Fragen blieben in ihrem Bauch, die Angst davor, was er antworten knnte, schob die gedachten und vorgeformten Worte in ihren Bauch zurck, bevor sie noch den Mund aufmachen konnte. Wieder war es still zwischen ihnen. Und wieder dachte Eva: Ist es das, was ich mir vorgestellt hatte, das, woran ich schon so oft gedacht habe? Und sie dachte: So ist das also zwischen Jungen und Mdchen, dass man nicht wei, was man sagen soll, wenn man eigentlich so viel sagen mchte. Sie bestellten sich noch eine Cola. Spter, im Kino, nahm Michel Evas Hand. Seine Hand war ein bisschen rauh und ein bisschen mager, ganz anders als Karolas. Der Cowboy ritt durch die Prrie, ritt mitten hinein in einen roten Cinemascope-Technicolor-Sonnenunter-gang und Michel streichelte ihre Hand. Eva hielt ganz still. Sie hielt so still, dass sie fast nicht atmen konnte. Michel hatte sie nach Hause gebracht, genau um zehn Uhr hatte sie die Wohnungstr aufgeschlossen. Bist du das, Eva?, hatte die Mutter aus dem Wohnzimmer gerufen. Ja, ich. Im Wohnzimmer sagte der Nachrichtensprecher: Beim heutigen Nebeleinbruch haben auf Bayerns 62 63 Straen mindestens acht Menschen den Tod gefunden. Stimmt, heute Morgen war es neblig gewesen. Eva ging ins Badezimmer und riegelte hinter sich ab. Sie sttzte sich mit den Hnden auf das kalte Porzellan des Waschbeckens und schaute in den Spiegel. Sie betrachtete ihren Mund. Von der Schminke war nicht viel brig, ein kleiner, verwischter Rest im Mundwinkel. Sie sah aus wie sonst. Sie wunderte sich darber, dass er keine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Er. Michel. Sie nahm die Zahnbrste in die Hand, drckte Zahnpasta darauf, zgerte und splte die Zahnpasta wieder ab. Heute nicht. Sie wollte die Erinnerung nicht wegwaschen. Dann band sie sich die Haare wieder zusammen und ging ins Bett. Die Mutter, neugierig, verschwrensch, ffnete die Tr und fragte: Na? Schn war's, antwortete Eva. Aber ich bin jetzt mde. Ich will schlafen. Eva stieg die Treppe hinauf, unendlich viele Stufen hatte die Treppe. Oben stand Michel und schaute zu ihr herunter. Oder war es Karola? Karolas Krper mit Michels Gesicht? Als sie nher kam, die Beine schleppten schon, zerfiel Karola-Michel, zerfiel in kaleidoskopartige Stckchen. Eva schloss die Augen. Auf Hnden und Fen kroch sie weiter die Treppe hinauf. Endlich wagte sie, die Augen wieder zu ffnen. Dort 64 oben stand Michel, viel weiter oben jetzt. Er hatte ihr den Rcken zugedreht. Michel, rief sie. Michel! Er drehte sich um. Komm nicht, sagte er mit einer ganz fremden Stimme. Geh zurck oder ich werde dich erstechen. Jetzt erst sah Eva, dass er in der Hand einen Sbel trug. Die Klinge blitzte, als er ihn langsam hochhob. Eva schrie, drehte sich um und wollte die Treppe hinunterlaufen. Aber vor ihr war nur ein Loch, ein ghnendes, graues, endloses Loch. Das gibt es doch nicht, dachte Eva. Eine Treppe kann doch nicht pltzlich weg sein. Da fiel sie in das Loch, ein endloses Fallen war das. Die Angst drckte ihr die Luft ab und erstickte ihren Schrei. Das Blut hmmerte in ihrem Kopf, und in dem Moment, als sie dachte, jetzt, jetzt schlage ich auf, jetzt werde ich sterben, jetzt, jetzt, in diesem Moment wachte sie auf, merkte, dass sie in ihrem Bett lag, und fing vor Erleichterung an zu weinen. Im Khlschrank war noch eine Schssel Pudding. Schokoladenpudding. 65  Sonntag. Eva hasste diese Sonntage, die immer gleichen Sonntage, die sich fast nur durch Regen, Sonne, Schnee und Wind unterschieden und gelegentlich durch einen Kinobesuch. Sie hasste sie noch mehr als die Wochentage, an denen sie wenigstens die Hoffnung haben konnte, dass irgendetwas passierte, dass jemand mit ihr sprach oder dass Franziska ihre Hand auf ihren Arm legte und ihr etwas erzhlte. Sonntag, das hie Lernen, um die Langeweile zu bertnen, englische Vokabeln gegen das Gedudel von Bayern drei, mathematische Gleichungen gegen den rlpsenden Sonntagsfrieden. Zum Frhstck sa die Familie um den Tisch, um die dampfende Kaffeekanne und den Sonntagskuchen. Mutter im geblmten Morgenrock, steif, Nylon, dunkelrote Rschen auf rosa Grund, und der Vater, noch nicht rasiert, mit dunkelblauem Bademantel ber dem Schlafanzug, blauwei gestreift. Einen guten Kuchen hat unsere Mama wieder ge-backen, sagte der Vater und die Mutter schaute auf ihren Teller und antwortete: Ein bisschen braun ist er geworden. Ich htte den Herd fnf Minuten eher ausmachen sollen. Oder sie sagte: Die Ksefllung ist 66 ein bisschen zu feucht. Die Unterhitze im Herd funktioniert nicht mehr so richtig. Nein, Marianne, widersprach der Vater. Der Kuchen ist wirklich gut. Nicht wahr, Kinder? Eva und Berthold stopften den Kuchen in sich hinein und murmelten mit vollem Mund besonders gut, wie jeden Sonntag. Um halb zwlf Aufbruch der ganzen Familie zum Mittagessen bei Oma. Wir halten das Familienleben hoch, hatte die Mutter zur Schmidhuber gesagt. Ich sage immer, es gibt nichts Wichtigeres fr Kinder als ein gutes Familienleben. Und dazu gehrt, dass wir jeden Sonntag bei den Eltern meines Mannes zu Mittag essen. Und die Schmidhuber hatte genickt und gesagt, wenn alle Familien so intakt waren, gbe es weniger Jugendkriminalitt. Eva htte am liebsten laut ge- schrien. Alle waren ordentlich angezogen und gekmmt. Fingerngelkontrolle. Evas Fingerngel waren immer sehr kurz geschnitten, bis zur Fingerkuppe musste sie sie herunterschneiden, um die zerbissenen und zerfransten Rnder wieder glatt zu bekommen. Berthold, mrrisch, schlecht gelaunt, erwischte noch schnell eine Ohrfeige, sonntags, beim Aufbruch, weil er lieber Fuball gespielt htte drben in den Anlagen, mit seinen Freunden, und es nicht schaffte, wortlos zu verzichten, schweigend seinen Wunsch zu unterdrcken. 67 Aber Fritz, doch nicht am Sonntag!, sagte die Mutter. Wenn er es aber verdient hat!, antwortete der Vater. Bei schnem Wetter gingen sie zu Fu, nur wenn es regnete, nahmen sie das Auto. Das tut gut nach einer Woche im Bro, sagte der Vater und dehnte seine Schultern, ging mit federnden Schritten, ein stattlicher Mann, durch die sonntglich leeren Straen. Von der Anlage drben hrte man das Geschrei der Buben: Toooor! Berthold drehte den Kopf zur Seite. Auf seiner Backe sah man noch die rtlichen Spuren der Ohrfeige. Eva trottete hinter den anderen her. Sie ging nicht gern zur Oma. Noch nie war sie gern zur Oma gegangen. Sie erinnerte sich noch genau, wie das damals war, als sie bei Oma gewesen war. Als Mama im Krankenhaus gewesen war. Evachen hier und Evachen da und der Geruch von Putzmitteln berall. Rum auf, Evachen. Ein braves Mdchen isst seinen Teller leer. Ein braves Mdchen rumt seine Spielsachen weg. Ein braves Mdchen gibt der Oma ein Ksschen. Eva hatte nur noch auf den Vater gewartet. Sie war schon fnf gewesen bei Bertholds Geburt, sie erinnerte sich an die Freude des Vaters, die laute, aufgeregte Stimme. Stellt euch vor, ein Junge! Es ist tatschlich ein Junge. Das Lachen des Vaters war an- 68 ders, ganz anders als das Lachen, das er fr Eva hatte. Sie hatte zu ihm gehen wollen, sich in seine Arme werfen, hatte den ganzen Tag schon darauf gewartet, dass er kommen wrde, der Vater, dass er sie auf seine Knie heben wrde, hatte darauf gewartet, dass er sie kitzeln wrde, bis sie kreischen msste vor Lachen, bis ihr Bauch hart wrde und fast wehtte, aber nur fast. Auf diese schmale Kippe zwischen Lust und Schmerz hatte sie gewartet. Und dann war er da und er sah sie nicht. Ein Junge, sagte er. Stellt euch vor, es ist ein Junge. Eva war noch einen Schritt auf ihn zugegangen, hatte die Arme nach ihm ausgestreckt. Er hatte sie nicht bemerkt. Und was fr einer. Acht Pfund wiegt er. Die Oma hatte die Hnde zusammengeschlagen, na so was, endlich ein Junge, war an den Kchenschrank gegangen, hatte die obere Tr aufgemacht, die Glastr, an die Eva damals noch nicht drankam, die Oma hatte sich gereckt und eine Flasche herausgeholt. Der Rock war ihr hochgerutscht und Eva hatte den Wulst gesehen, diesen Strumpfwulst ber Omas Knien. Sie rollte die Strmpfe immer ber den Knien zu einem Wulst, der dann mit einem Gummiband gehalten wurde. ber dem braunen Wollstrick waren Omas Beine sehr wei, wie Hefeteig sah die Haut aus, wie der Teig, der in einer Schssel unter einem sauberen weien Kchenhandtuch blasig aufgegangen war. Sie hatten am Kchentisch gesessen, der Vater hatte 69 das kleine Glschen ein paar Mal leer getrunken, die Oma hatte ihm nachgeschenkt, der Vater hatte mit rotem Gesicht gelacht, ja, ein Junge, und die Oma hatte gesagt: Das war auch damals, bei deiner Geburt, eine Freude, das kannst du dir gar nicht vorstellen, und hatte dem Vater die Hnde gettschelt. Und Eva hatte dabeigestanden und die Tischdecke angestarrt, blauweie Karos, Eva hatte angefangen, sie zu zhlen, die Karos, bis zehn konnte sie zhlen damals. Auf einem weien Karo war ein grner Fleck gewesen, Spinat vom Mittagessen. Spinat ist gesund, hatte Oma gesagt. Eva mochte keinen Spinat. Berthold soll er heien. Eva war ganz leise hinbergegangen in das Schlafzimmer, hatte sich m Omas Bett gelegt, die riesige, weie Zudecke ber sich gezogen, wei mit eingesticktem Monogramm, EM, E, weil Oma Elfriede hie, und M, weil sie, bevor sie den Opa heiratete, Mller geheien hatte. Eva setzte automatisch einen Fu vor den anderen. Sie ging nicht gern spazieren. Nach einer halben Stunde fing der Vater auch noch an zu drngeln: Los, Kinder, ein bisschen schneller! Wir wollen Oma doch nicht warten lassen. Eva war schon wieder ganz verschwitzt und wischte sich mit einem Tempotaschentuch ber das heie Gesicht. Endlich waren sie da, an den alten Wohnblocks. 70 Oma und Opa wohnten im Hinterhaus, im ersten Stock. Eva mochte diese dstere Wohnung nicht, hatte sie noch nie gemocht. Alles war mit Mbeln voll gestellt, berall hingen Fotos an den Wnden. Das ist deine Tante Adelheid. Die ist nach Amerika ausgewandert. Sie hat ihren Mann in Deutschland kennen gelernt, er war hier stationiert, ein guter Mann. Schau, drei Kinder hat sie. Und Eva schaute das Foto an, eine krftige Frau unter einem bunten Weihnachtsbaum, der Mann und die Kinder standen neben ihr. Jeden Monat schreibt sie einen Brief, sagte die Oma und wischte sich mit dem Schrzenzipfel ber die Augen. Jeden Monat schreibt sie. Ja, ja, Mutter, sagte der Vater und legte ihr den Arm um die Schulter. Ist schon gut, Mutter. Ach Gott, die Gans, rief die Oma und watschelte in die Kche. Gans bei der Hitze, dachte Eva. Sie stand am Vertiko und betrachtete die Fotos ihres Vaters, die da in schmalen Goldrhmchen aufgereiht waren: Vater am ersten Schultae, ein dicklicher Junge mit einem dunk- len Pullover, eine Schultte an sich gepresst. Vater bei der Erstkommunion, schwarzer Anzug, weies Hemd, Kerze, sehr ernsthaft und feierlich. Vater beim Schulabgang, Vater bei der Bundeswehr, im Kreis seiner Kameraden. Er war auch immer dick gewesen. Evachen, komm in die Kche, das Essen ist fertig. 71 Das war Opa. Er legte seine Arme um sie und gab ihr einen feuchten Kuss. Eva strich ihm ber das schttere, weie Haar. Opa, wie geht es dir denn? Er war alt, viel lter als Oma. Es geht, Kind. Wenn man alt wird, ist alles anders. Da wird man bescheiden. Da muss man Gott danken, wenn man noch einigermaen gesund ist. Die Gans war gro und braun und das Fett troff nur so an ihr herab und bildete hell schwimmende Goldaugen auf der Sauce. Die Oma stand am Tisch, hielt einen Teller in der Hand und legte ein Stck Gans darauf, ein Bein, dann zwei Kndel, goss mit einem kleinen Schpflffel goldugige Sauce darber, fettu-gige Sauce, und fllte die noch verbliebenen Lcken auf dem Teller mit Rotkraut. Danke, Mutter, sagte der Vater, als sie den Teller vor ihn hinstellte. Er bekam immer zuerst. Danke, sagte Opa. Danke, sagte die Mutter. Oma strahlte. Berthold hatte schon die Gabel in der Hand und fing sofort an zu essen, als Oma ihm seinen Teller gab. Lass es dir schmecken, Evachen. Eva sprte ein kleines, leichtes Wrgen in ihrer Kehle und trank schnell einen Schluck Apfelsaft. Die Oma schnitt sich das Fleisch in ganz kleine Stckchen. Meine Zhne, wisst ihr! Sie schmatzte beim Essen. 72 Die Adelheid hat geschrieben, ihr Sohn ist mit der Schule fertig und hat ein sehr gutes Zeugnis bekommen. Er wird studieren. Die Eva wird auch immer besser in der Schule, sagte der Vater. Sie macht uns viel Freude. Eva rgerte sich. Ja, sie ist ein gutes Mdchen. Oma sprach mit vollem Mund. Eva konnte den Kndel-Rotkrautbrei zwischen ihren Zhnen sehen. Nur der Berthold, fuhr der Vater fort. Der Berthold ist faul. Nicht dass er etwa dumm wre! Faul ist er. Berthold wurde rot. Er hatte den Mund voll, kaute verzweifelt und wrgte. Er musste husten und hielt sich schnell die Hand vor den Mund. Eva betrachtete ihren Vater. Er schaute mit finsterem Gesicht zu, wie die Mutter unbeholfen auf Bertholds Rcken klopfte. Trink etwas, sagte er. Gehorsam griff Berthold nach dem Glas mit Apfelsaft. Seine Hand war gesprenkelt mit Saucenflecken, braun wie Sommersprossen. Er trank hastig. Wenn Marianne ihn nicht so verwhnt htte, sagte der Vater. Ja, ja, antwortete Oma. Bei Kindern muss man auch mal hart durchgreifen. Die Mutter sagte kein Wort. Aber die Eva, wiederholte der Vater, die Eva macht uns viel Freude. Sie schreibt nur gute Noten. 73 Ja, ja, das Evachen, sagte die Oma und schob ein Stck Kndel in den Mund. Das Evachen ist ein gutes Kind. Du warst auch immer ein gutes Kind, Fritz. Eva a ihren Teller leer. Nach dem Essen splte die Mutter das Geschirr, Eva trocknete ab. Aber das musst du doch nicht machen, Marianne, sagte die Oma jeden Sonntag. Und jeden Sonntag antwortete die Mutter: Aber das mach ich doch gern, Oma, wo du uns doch schon so was Schnes gekocht hast. Eva war schlecht von dem vielen Essen. Zum Kaffeetrinken waren sie dann schon zu Hause. Es gab wieder den besonders guten Kuchen. Adelheids Sohn wird studieren, sagte der Vater bitter. Und meiner? Mein Sohn geht nicht mal aufs Gymnasium. Hack doch nicht immer auf dem Jungen herum, sagte die Mutter. Das Gesicht des Vaters wurde bse. Du halt dich da raus! Warum hat er denn die bertrittstests nicht geschafft, wie? Weil er nicht rechnen kann! Und das will mein Sohn sein! Eva musste sich auf die Zunge beien, um nicht laut zu lachen. Wahrscheinlich, dachte sie, wre er viel lieber der Sohn von jemand anders. Laut sagen konnte sie das natrlich nicht. Der Vater war Buchhalter und bildete sich viel darauf ein, dass er sehr schnell und sehr sicher rechnen konnte. Fr ihn war die Note in 74 Mathematik ein Mastab fr die Intelligenz eines Menschen, und Intelligenz war das, womit man es im Leben zu etwas brachte, beispielsweise zu einer gut eingerichteten Wohnung, Farbfernseher, Waschmaschine, Splmaschine und so weiter. Wie willst du es denn im Leben je zu etwas bringen, wenn du so faul bist? Na bitte, hatte sie es nicht gewusst? Ich will Fernfahrer werden, sagte Berthold in einem Anfall von Trotz. Da brauche ich kein Gymnasium. Ich wre froh gewesen, wenn ich htte lernen drfen, antwortete der Vater bitter. Aber bei uns war kein Geld da fr so etwas. Und weil ich das besser beurteilen kann als du, sage ich dir, dass du im nchsten Jahr so viel lernen wirst, dass dir die Dummheiten schon vergehen. Und dein Zeugnis wird nach der fnften Klasse besser, verstanden? Berthold senkte die Augen auf den Teller. Eva sah ihm an, dass er am liebsten geweint htte. Stattdessen beugte er sich vor und schob ein Stck Kuchen in den Mund. Er setzte die Tasse an und trank Kakao nach. Dann schluckte er und biss sofort wieder in den Kuchen. Eva schaute ihm verstohlen zu. Berthold a sehr schnell, man konnte eigentlich nur schlingen dazu sagen. Er schaute nicht mehr von seinem Teller auf. Verbissen stopfte er sich voll. Eva, warum isst du nicht?, fragte der Vater. 75 Sie merkte erst jetzt, dass das Stck Kuchen noch unberhrt vor ihr auf dem Teller lag. Ohne den Vater anzuschauen, sagte sie: Bei deiner Meckerei kann einem ja der Appetit vergehen. Eva! Die Stimme der Mutter klang erschrocken. Ist doch wahr! Ach, die junge Dame wird aufmpfig, wie?, sagte der Vater. Bis jetzt habe ich allerdings noch nie gemerkt, dass dir der Appetit vergangen wre. Du siehst jedenfalls nicht so aus. Hrt doch auf!, sagte die Mutter beunruhigt. Ich wei gar nicht, was heute in euch gefahren ist. Beim Essen streitet man nicht. Das ist nicht gesund. Eva schwieg. Was htte sie auch sagen knnen ? Wenn es nach der Mutter ging, war es berhaupt nie gesund zu streiten. Aber fr den Vater war es offensichtlich gesund, jeden Tag zu meckern. Eva kaute auf ihrem Kuchen herum. Er war trocken und brsehg. Sie legte ihn wieder auf den Teller. Das Stck Kuchen wirst du doch noch essen knnen, sagte die Mutter. Nur das eine Stckchen. Eva machte es wie Berthold. Sie trank viel Kakao nach. 76 Eva und Michel saen in der Milchbar. Es regnete. Eva trug die Haare wieder offen. Michel hielt ihre Hand und sie schauten sich ber den Tisch hinweg an. Knnten wir nicht nachher in die Diskothek gehen? Warum?, fragte Michel. Ich wre viel lieber mit dir allein irgendwo. Knnen wir wirklich nicht zu dir nach Hause gehen? Nein, sagte Eva. Du kennst meinen Vater nicht. Schade. Ich mchte so gern einmal in eine Diskothek gehen. Ich war noch nie. Michel zuckte mit den Schultern. Meinetwegen. Aber es ist sehr laut dort. Und teuer. Ich habe noch Geld. Gut, dann gehen wir in die Disko am Josephsplatz. Eva zgerte. Ich habe noch nie getanzt. Auer mit meinem Vater Walzer. An Neujahr war das gewesen. Vater hatte Sekt getrunken und war sehr lustig gewesen. Aus dem Radio klang laute Tanzmusik. Pltzlich rumte Vater die Sessel und den Tisch zur 77 Seite, ganz aufgekratzt war er, und stellte das Radio noch lauter. Komm, Mama, jetzt zeigen wir mal den Kindern, wie man Walzer tanzt. Die Mutter wehrte ab. Ach nein, Fritz. Wir haben schon so lange nicht mehr getanzt. Los, sagte der Vater und zog die widerstrebende Mutter aus dem Sessel. Los, Marianne. Keine Mdigkeit vorschtzen. Und dann tanzten sie und der Vater sang laut mit. Donau, so blau, so blau, so blau ...! Sie tanzten Tango und Walzer, Cha-Cha-Cha und Foxtrott, so lange, bis die Mutter rote Backen bekam. Eva, jetzt bist du dran, sagte der Vater, als die Mutter sich schwer atmend in einen Sessel fallen lie. Ich kann doch nicht tanzen, antwortete Eva. Dann wird es Zeit, dass du es lernst. Eva war pltzlich sehr aufgeregt. Sie bewunderte den Vater, der seinen schweren Krper so gewandt und sicher bewegte. Er sah anders aus als sonst. Jnger. Euer Vater hat frher einmal den ersten Preis bei einem groen Tanzwettbewerb gewonnen. Das war damals, als wir uns kennen gelernt haben. Eva sah ihren Vater berrascht an. Wirklich? Sie fhlte sich tlpelhaft und ungeschickt, kam aus dem Takt und trat ihrem Vater auf die Fe. Nicht so, Eva. Du darfst nicht an deine Beine denken. Achte nur auf den Takt und lass dich fhren. 78 Hrst du? Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Und dann war es wirklich ganz leicht. Eva drehte sich und drehte sich, lie sich in die Musik und in Vaters Arm fallen und fhlte sich leicht und glcklich. Das machst du prima, Eva. Wirklich! Mama, wir mssen bald mal mit unserer groen Tochter tanzen gehen. Mama nickte gerhrt. Berthold war ber seinem Mickymausheft eingeschlafen. Mit meinem Vater habe ich getanzt, sagte Eva und sah Michel wieder an. Er hat frher mal den ersten Preis bei einem Tanzwettbewerb gewonnen. Wirklich? Ja, das war damals, als er meine Mutter kennen lernte. Michel sah sie zweifelnd an. Aber in einer Disko tanzt man keinen Walzer. Eva lachte. Das wei ich. Ich habe das schon oft im Fernsehen gesehen. Sie dachte an die heimlichen Tanzversuche in ihrem Zimmer. So schwer konnte das doch nicht sein. In der Diskothek war es sehr voll. Eva wre am liebsten wieder hinausgegangen, als sie all die schlanken, schnen Mdchen sah. Na ja, nicht alle waren so schlank. Es waren auch ein paar Dicke dabei. Eine stand mit einer Colaflasche in der Hand da, mitten zwischen anderen Jungen und Mdchen, und lachte. 79 Eva sah sie von der Seite an. Sie lachte wirklich, so, als wre sie wie die anderen. Und dabei war sie wirklich dick. Nicht so dick, nicht ganz so dick wie Eva, aber immerhin! Und auerdem trug sie noch eine Brille. Michel zog Eva an der Hand hinter sich her zu einem Tisch in der Ecke. Eva stellte ihre Tasche hin und wollte sich setzen. Nein, sagte Michel. Jetzt sind wir schon mal da, jetzt tanzen wir auch. Er musste sehr laut reden, damit sie ihn berhaupt verstand. Die Tanzflche war voll, aber Michel drngte sich einfach dazu und fing an, sich zu bewegen, erst langsam, dann schneller. Er kann tanzen, dachte Eva, und ihre Knie wurden weich. Ihr wurde schwindelig. Was hatte der Vater gesagt? Nicht so, Eva. Du darfst nicht an deine Beine denken. Hr auf den Takt und lass dich fhren. Aber hier gab es niemand, der sie fhrte. Sie machte es wie Michel. Erst langsam, in den Hften bewegen, wie war blo der Takt, dann trat sie von einem Fu auf den anderen. Wie ein kleines Mdchen, das dringend mal muss, dachte sie und lchelte. Michel lchelte auch. Michel, dachte sie, Michel. Er nahm ihre Hand und schwang sie unauffllig im Takt hin und her. Und dann war es pltzlich wieder da, dieses Gefhl wie an Neujahr, nur noch viel schner. Eva lachte und schttelte ihre Haare, die langen, offenen Haare, und sie verga ihren Elefantenkrper und tanzte. 80 Irgendwann zog Michel sie von der Tanzflche und fhrte sie zu ihrem Stuhl. Gib mir Geld, sagte er. Ich hole eine Cola. Ich mchte lieber ein Selterswasser. Michel nickte. Er kam zurck und stellte ein Glas berkinger vor sie auf den Tisch. Dann setzte er sich ganz dicht neben sie und legte den Arm um ihre Hfte. Ich bin verschwitzt, dachte Eva. Ganz nass geschwitzt bin ich. Hoffentlich stinke ich nicht. Sie schob ihn weg. Mensch, Eva, sagte Michel hingerissen. Du tanzt wirklich ganz toll. Htte ich nicht gedacht. Kommst du am Samstag mit mir ins Freizeitheim? Wir haben ein Sommerfest. Eva nickte. Papa, dachte sie. Ach, Papa. Die Bluse klebte an ihrem Krper. Und weil es schon ganz egal war, stand sie auf und zog Michel zur Tanzflche. Ich will noch, sagte sie. Er nickte. Es war schon acht, als sie auf die Uhr sah. Sie schloss leise die Tr auf. Aus dem Wohnzimmer drang das Gerusch des Fernsehers. Halb zehn vorbei. Da ging die Wohnzimmertr auf. Der Vater betrachtete sie von oben bis unten, machte zwei Schritte auf sie zu und holte aus. Eva starrte ihn an. Die Ohrfeige brannte auf ihrer Haut. Aber Fritz, sagte die Mutter hilflos, bse. Warum 81 soll sie nicht mal lnger wegbleiben? Sie ist doch schon fnfzehn. Ich will nicht, dass meine Tochter sich mmtreibt. Aber das heit doch nicht rumtreiben, wenn sie mal bis halb zehn wegbleibt. Wann soll sie denn ihre Jugend genieen, wenn nicht jetzt? Eva hrte die Ver-bitterung in der Stimme der Mutter. So fngt es an, schrie der Vater. Schau sie dir doch an, wie sie aussieht! Schicken wir sie deshalb auf die Schule, dass sie mit einem Bankert daherkommt? Eva ging wortlos in ihr Zimmer und schloss mit ei-nem lauten Knall die Tr hinter sich. Sie lie sich auf das Bett fallen, auf das weiche, sichere Bett, das Ver-sprechen von Wrme und Zuflucht, und weinte. Du Schwein, sagte sie laut. Du gemeines Schwein. Nichts weit du. Nur an so etwas kannst du denken. Die Mutter kam herein und setzte sich zu ihr auf den Bettrand. Hilflos streichelte sie Evas Rcken. Kind, er meint das nicht so, wirklich nicht. Er hat sich solche Sorgen gemacht um dich. Sogar bei der Po-lizei hat er schon angerufen, ob irgendwo ein Unfall gemeldet worden ist. Eva schluchzte. Sie weinte laut, hemmungslos, V wollte nichts mehr verbergen, der Vater sollte es ruhig hren, dieses Schwein! Bankert: abwertende Bezeichnung fr uneheliches Kind 82 Kind, sagte die Mutter, Kind, Kind. Was anderes fiel ihr auch nicht ein! Eva weinte noch lauter. Du musst versuchen, ihn zu verstehen, sagte die Mutter. Er ist halt so. Immer soll ich ihn verstehen! Immer ich! Geh doch zu deinem geliebten Fritz! Geh nur. Du verstehst ihn ja so gut. Die Mutter sagte nichts mehr. Dann verlie sie das Zimmer. Eva hrte die Tr klappen. Ihr lautes Weinen ging in ein rhythmisches Schluchzen ber, langsamer, beruhigender. Sie vergrub sich in das Kopfkissen. Ihr Gesicht brannte und fhlte sich verquollen an. Weinen, weinen, nur noch weinen. Michel. Nichts verstand der Vater, gar nichts. Nie hatte er irgendetwas verstanden. Scheie! Scheie! 83 Eva starrte aus dem Klassenfenster. Ihre Augen brannten. Sie fhlte die Trnen hinter ihren Augen, in den Hhlen fhlte sie den Druck der Trnen. Sie erhob sich und ging zum Lehrertisch. Kann ich bitte an die frische Luft gehen, mir ist schlecht. Frau Wittrock nickte. Natrlich, Eva. Eva ging wie auf Watte, aus dem Klassenzimmer hinaus, die Treppe hinunter zum Klo. Sie beugte sich tief ber die Kloschssel, sttzte sich mit den Hnden auf der Brille ab und erbrach den Kse und die Sardinen in Dillsoe, den Rest Grieauflauf und die beiden Frchte Joghurts, die sie in der Nacht gegessen hatte, als sie verschwitzt und dreckig aufgewacht war, noch in Rock und Bluse, die ihr am feuchten Krper klebten. Sie erbrach, bis nur noch gelbliche, bittere Flssigkeit kam. Sie lehnte sich an die Wand und wischte sich die Schweitropfen aus dem Gesicht und die Trnen. Franzlska fhrte sie zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Frau Wittrock hat gesagt, dass ich mit dir gehen knnte. Eva hielt ihr Gesicht unter das kalte Wasser, lie es ber die heien Augen laufen und splte sich den 84 Mund aus. Es ging ihr viel besser. Ich muss etwas Falsches gegessen haben, sagte sie. letzt ist es vorbei. Franziska nahm ein Papierhandtuch, machte es nass und bckte sich. Du hast ein paar Flecken am Rock. Dann saen sie unter einem Baum und tranken Tee aus Pappbechern, den Franziska aus dem Automaten geholt hatte. Wie lange darfst du abends wegbleiben?, fragte Eva. Kommt drauf an. Eigentlich solange ich will. Mein Vater hat mir gestern eine Ohrfeige gegeben, weil ich um halb zehn nach Hause gekommen bin. Halb zehn ist doch nicht so spt. Ich hatte nicht gesagt, dass ich spter komme. Na ja, sagte Franziska, wenn ich spter komme, muss ich auch anrufen. Und dann fragte sie: Schlgt dich dein Vater oft? Nein, antwortete Eva. Das letzte Mal hat er mir eine runtergehauen, als ich gesagt habe, die Oma sei eine alte Hexe. Ist sie das? Eva schttelte den Kopf. Das nicht. Aber dumm ist sie. Meine Eltern haben mich noch nie geschlagen, sagte Franziska. Auch nicht, als ich klein war. Frher, als Kind, habe ich fter eine Ohrfeige bekommen. Aber nur von meinem Vater. Und mein Bruder kriegt auch heute noch oft etwas ab. 85 Und deine Mutter? Was sagt die dazu? Eva lachte. Sie leidet mit uns. Fr jede Ohrfeige gibt es mindestens eine heimliche Tafel Schokolade. Gehst du oft weg abends? Nein, ich war gestern das erste Mal tanzen. Und du? Ich auch nicht. Ich kenne immer noch kaum Leute hier. Eva verzog das Gesicht. Ich bin hier geboren und kenne trotzdem kaum jemanden. Dann stand sie auf und klopfte sich den Staub aus dem Rock. Sehe ich wieder ordentlich aus? Ja, antwortete Franziska. Deine Haare sind viel schner, wenn sie offen sind. Du hast wirklich tolle Haare. Eva schaute schnell zur Seite. Komm, gehen wir wieder rauf. Eva lernte gerade: affligere, affligo, afflixi, afflictum, als Berthold ihre Tr ffnete. Der Papa ist am Telefon, sagte er. Fr dich. Eva ging ins Wohnzimmer und nahm den Hrer. Eva?, fragte der Vater. Ja. Ich bin zu der Telefonzelle an der Ecke gegangen, weil ich mit dir sprechen wollte. Ja, sagte Eva. 86 Ich hatte gestern wirklich Angst, dass dir etwas passiert ist. Eva schwieg. Aus der Kche drang das Klappern von Geschirr. Eva, sagte der Vater. Die Ohrfeige gestern, die htte ich dir nicht geben sollen. Eva presste den Hrer fest an ihr Ohr. Ich htte ja auch anrufen knnen, sagte sie. Ja, httest du. Aber das ging nicht. Ich war in einer Diskothek tanzen. Das erste Mal. War es schn? Ja. Sehr. Ich muss zurck ins Bro, sagte der Vater. Also, das nchste Mal rufst du an, ja? Bis spter. Bis spter, Papa. Eva ging in die Kche. Mama, soll ich fr dich einkaufen gehen? Sie musste ber das erstaunte Gesicht der Mutter lachen. Und sie lachte auch noch, als sie den schweren Einkaufskorb nach Hause trug. Sie fhlte sich so leicht, so schwebend, sie wurde nur durch das Gewicht der Kartoffeln, der pfel und des Mehls auf der Erde gehalten. So schlimm ist er nicht, mein Vater. Das soll ihm erst mal einer nachmachen, extra zur Telefonzelle gehen und anrufen! Sie beschloss, abends von dem Sommerfest im Freizeitheim zu erzhlen. Sie wollte unbedingt hingehen. 87 Vielleicht wrde er es erlauben, heute, wo er so sanft war. Eva hatte zum Abendessen fast nichts gegessen vor Aufregung. Der Vater war zwar sehr freundlich gewesen, als er von der Arbeit gekommen war, hatte seinen Rundgang, den Kontrollgang, schnell und ohne v Meckern hinter sich gebracht, aber man konnte nie wissen! Bis zehn geht es am Samstag im Freizeitheim, sagte Eva. Und dann muss ich noch heimfahren. Vor elf kann ich nicht zurck sein. Kommt nicht in Frage, dass du so spt allein durch die Gegend fhrst. Aber Fritz, bald sechzehn ist sie schon. Ich bin kein kleines Kind mehr, sagte Eva. Das wei ich. Das habe ich in der letzten Zeit schon fter hren mssen. Aber ich lasse meine Tochter nicht abends allein durch die Stadt fahren. Ich hole dich ab. Um Gottes willen, Papa! Wie sieht denn das aus? Was sagen denn da die anderen, wenn du mich abholst wie ein kleines Mdchen vom Kindergeburtstag! Kein Wort mehr. Entweder ich hole dich ab oder du bleibst zu Hause. Was anderes kommt nicht in Frage. Lest ihr denn berhaupt keine Zeitung? Jeden Tag Mord und Totschlag. Und Vergewaltigungen. Eva heulte fast vor Wut. 88 Fritz, sagte die Mutter. Man muss seinen Kindern auch Freiheit geben. Das steht in jeder Zeitung drin. In allen Illustrierten kannst du das lesen. Und die Leute, die das schreiben, verstehen was davon. Du glaubst auch alles, sagte der Vater bse. Wie ich meine Kinder erziehe, lasse ich mir von niemand vorschreiben. Ich wei selbst am besten, was gut ist fr sie. Aber Eva ist ein vernnftiges, anstndiges Mdchen. Sie hat noch nie eine Dummheit gemacht. Und das soll auch so bleiben. Der Vater ging in das Wohnzimmer und gleich darauf hrte man die Stimme des Nachrichtensprechers. Gute Nacht, sagte Berthold, der die ganze Zeit schweigend dabeigesessen hatte. Die Mutter wandte sich dem Abwasch zu. Dass es immer Krach geben muss. Eva verlie die Kche und knallte die Tr hinter sich zu. Sie sa in ihrem Zimmer und malte wtend groe, schwarze Striche auf ein Blatt Papier. Die Mutter kam mit einem Tablett herein. Ich habe dir was zu essen gemacht. Du kannst doch nicht ohne Essen schlafen gehen. Auf dem Tablett stand neben Brot und Butter eine geffnete Blechdose mit Lachs, zartrosa, lglnzend. Echter, sagte die Mutter. Ich hatte ihn eigentlich fr Papas Geburtstag gekauft. Aber jetzt bekommst du 89 ihn. Die Mutter griff in ihre Schrzentasche. Hier ist auch noch eine Tafel Schokolade. Sie stellte das Tablett auf Evas Nachttisch. Lass dich halt von ihm abholen, sagte sie. So schlimm ist das doch nicht. Eva schttelte den Kopf. Nein. Ach Gott, sagte die Mutter, den Dickkopf hast du von ihm. Sie legte die Hand auf die Klinke. Ich muss jetzt rber, sonst wird er bse. Eva legte eine Kassette ein, Simon und Garfunkel, Bridge over troubled water, rollte ihre Zudecke als Rckensttze zusammen und stellte das Tablett neben sich auf das Bett. Dann fing sie an, sich ein Brot zu schmieren. Echter Lachs ist zu schade fr Brot, dachte sie. Viel zu schade. Ich werde ihn nachher so essen. Sie schmierte die Butter sehr dick. Butter, ganz kalt aus dem Khlschrank, auf weichem Brot, das war etwas Gutes. Sie a zuerst rundherum die Rinde ab, dann machte sie sich an das weiche Innenstck. Sorgfltig schob sie vor dem Abbeien die Butter mit den Zhnen nach hinten, bis sie nur noch ein kleines rundes Stck brig hatte, mit einem zahnspurigen Butterwall drum herum. Sie betrachtete es lange, bevor sie es in den Mund steckte. When evening falls so hard, I will comfort you. Vll take your pari. Die Mnnerstimme klang sanft, weich, einschmeichelnd. Eva kaute. Wenn ich achtzehn bin, dachte sie, dann ziehe ich aus. Noch 90 zwei Jahre und drei Monate. Und wenn ich von Was-ser und Brot leben muss! Sie strich Butter auf die zweite Scheibe. Ein Zimmer wrde sie haben, nur ein ganz kleines natrlich. Und sie wrde Nachhilfestun- den geben, um die Miete bezahlen zu knnen. Zwanzig Mark wrde sie sicher fr die Stunde bekommen. Mathe und Englisch konnte sie gut genug und auch in Franzsisch wrde es fr die Unterklassen reichen. Viel Geld wrde sie nicht haben, natrlich nicht. Aber niemand wrde ihr Vorschriften machen. Freiheit. Sie schob sich eine Scheibe Lachs in den Mund. Freiheit. Ein Wort, das wild und schn in ihren Ohren klang, wie Abenteuer und groe, weite Welt. Wie zart der Lachs doch war. Er zerging einem ja richtig auf der Zunge. Echter Lachs! Geschieht dir ganz recht, dachte sie, als sie die zweite Scheibe langsam im Mund hin-und herschob. Geschieht dir ganz recht, dass ich ihn jetzt esse. Franziska darf abends so lange wegbleiben, wie sie will. Vor der letzten Scheibe Lachs drehte sie die Kassette um. Es war zehn Uhr. Die Eltern gingen ins Bett. Sie hrte die Wassersplung im Badezimmer. Automatisch drehte sie den Recorder leiser. Gute Nacht, rief die Mutter durch die Tr. Gute Nacht, Eva. Eva antwortete nicht. Freiheit! Noch zwei Jahre, drei Monate und fnf Tage! Sie nahm ein leeres Heft, ein Rechenheft, und schrieb auf die erste Seite ganz oben: Dienstag, L Juli, 91 und darunter: Mittwoch, 2. Juli, dann Donnerstag, 3. Juli, dann den vierten und immer weiter. Nach fnf Seiten hrte sie auf. Sie war erst beim achten September. Morgen wrde sie weitermachen oder bermorgen. Und jeden Tag wrde sie einen Tag durchstreichen, wie bei einem langen Adventskalender. Der Gedanke gefiel ihr. Sie fing an, neben die Zahlen kleine Bildchen zu machen. Einen Stier neben den ersten Juli, einen schwarzen Stier mit erhobenem Schwanz und Dampfwlkchen aus den Nstern. Einen runterhngenden groen Penis malte sie ihm noch hin. Das hatte sie mal gesehen, als sie bei Tante Irmgard zu Besuch war. Doch dann radierte sie ihn schnell wieder weg. Morgen musste sie zur Schmidhuber, die wrde ihr noch ein neues Kleid nhen fr Samstag. Ein Sommerkleid ist ja schnell gemacht, hatte die Mutter gesagt. Wir gehen gleich nach dem Essen zum Kaufhof wegen Stoff. Eva malte ein Sommerkleid neben den zweiten Juli. bermorgen wrde sie Michel treffen, um drei am Brunnen. Sie zeichnete ein Herz, suchte ihre Filzstifte und malte es rot an. Auen herum schrieb sie ganz klein: Amo te, ama nie! Ich liebe dich, liebe mich! Das stand auf einem Ring, den man bei einer Ausgrabung gefunden hatte, hatte der Lateinlehrer erzhlt. Und neben den Samstag setzte sie auch ein rotes Herz. Sie wrde hingehen, und wenn sie ausreien msste. Entschlossen klappte sie das Heft zu und steckte es in ihren Ranzen. 92 Im Bett dachte sie noch einmal: Zwei Jahre, drei Monate und fnf Tage. Sie sagte das Wort: Freiheit, und lie es mit einem Stck Schokolade auf ihrer Zunge zergehen. Freiheit. Freiheit! 93 12 Eva hatte einen braunbeige gestreiften Stoff gewhlt. Etwas Auffallendes kannst du nicht tragen, hatte die Mutter gesagt, aber etwas Frischeres, Krftigeres sollte es schon sein. Schau mal der Rote da, ein ganz modernes Muster, Nein, hatte Eva beharrt. Dieser da. Na ja, wie du willst. Er Ist aber ziemlich teuer. Aber sie hatte ihn gekauft. Vielleicht hast du Recht. Streifen strecken. Bei der Schmidhuber saen sie dann um den groen Wohnzimmertisch herum und bltterten in Modeheften. Es gab selbst gemachte Kekse und Limo. Die Mutter und die Schmidhuber benahmen sich so aufgeregt, als gingen sie selber zum Tanzen. Mein Gott, Renate, weit du noch, wie wir frher rumgelaufen sind, in was fr Fhnchen! Es gab noch nicht so viel, sagte die Schmidhuber. Das Geld hat nicht gereicht fr viele Kleider. Aber schn war's doch! Hier, sagte Eva und deutete auf ein einfaches Sommerkleid mit kurzen rmeln und rundem Ausschnitt. So ein Kleid htte ich gern. Kannst du das machen? 94 Aber natrlich, Evachen. Wenn du das willst! Sollen wir nicht noch weiter suchen? Nein. So eines htte ich gern. Eva half der Schmidhuber beim Tischabrumen. Die Schmidhuber legte den Schnittmusterbogen mit dem Gewirr von Linien auf den Tisch und ein durchsichtiges Papier darber. Dass du dich da zurechtfindest!, sagte Eva. Die Schmidhuber lachte. Gelernt ist gelernt, sagte sie. Bevor sie den Schnitt auf den Stoff bertrug, verglich sie Evas Mae mit den angegebenen und zeichnete an der Hfte noch ein paar Zentimeter dazu. Eva war ihr dankbar, dass sie nicht wie sonst gesagt hatte: Du bist ja wieder dicker geworden. Wenn ich noch mal so jung wre, sagte die Mutter, wrde ich alles anders machen. Wie denn?, fragte Eva. Ich wei nicht, antwortete die Mutter. Anders. Ich wrde nicht mehr so frh heiraten. Aber du hast es doch ganz gut getroffen, warf die Schmidhuber ein und fing an, den Stoff zu zerschneiden. Dein Mann ist fleiig und huslich und schaut nicht nach anderen Frauen. Und zwei gute Kinder hast du. Eva biss die Zhne zusammen. Ja. Ja. Man muss dankbar sein dafr, sagte die Mutter. Da hast du Recht. Aber trotzdem...! Die 95 Tage gehen vorbei, und ehe du dich versiehst, ist wieder ein Jahr um. Sie wischte sich mit der Hand ber die Augen. Freiheit, dachte Eva. Freiheit, Freiheit, Freiheit! Und sie steckte sich noch einen selbst gebackenen Keks in den Mund. Er schmeckte sehr gut. Evachen, wenn du auf mich hrst, dann lernst du so einen Beruf, dass du nie auf einen Mann angewiesen bist. Auf sein Geld, mein ich, sagte die Schmidhuber. Eva lachte. Das mach ich, Tante Renate, sagte sie. Die Mutter warf ihr einen erstaunten Blick zu. Eva grinste. Die Mutter lchelte ein bisschen traurig. Tante Renate hat ganz Recht, Eva. Als das Vorderteil und der Rcken zusammengeheftet waren, musste Eva anprobieren. Schnell schlpfte sie aus Rock und Bluse und schnell zog sie das neue Kleid ber. Sie hatte den beiden Frauen den Rcken zugedreht. Dann steckte und heftete die Schmidhuber an ihr herum, mit Stecknadeln zwischen den Zhnen und der Nhnadel mit dem Reihfaden an ihrer Bluse festgesteckt. Arme hoch, Evachen. Ja, so ist's recht. Dreh dich mal um. Schau, Marianne, ich mach da am Rcken noch zwei Abnher rein. Da sieht sie von der Seite schlanker aus. 96 Dann legte sie die Stecknadeln zurck in die Schachtel. So!, sagte sie. Jetzt kannst du in den Spiegel gucken. Im Flur war ein groer Spiegel mit Goldrahmen. Zu beiden Seiten des Spiegels hingen zwei Engel, nackt, nur mit einem kleinen Tuch um den Bauch und mit kleinen, goldenen Flgeln. Sie stammten noch von der Oma der Schmidhuber. Der Linke hie Eva. So hast du ausgesehen, als du noch ein Baby warst, sagte die Schmidhuber immer wieder. Genau so. Eva betrachtete den Engel jedes Mal, wenn sie herkam, versuchte, in dem pausbckigen, lachenden Gesicht die Spuren ihres frheren Aussehens zu finden. Der dicke Bauch und die runden Beine stimmten sicher, dachte sie, obwohl sie auf ihren Kinderfotos gar nicht besonders dick aussah. Natrlich auch nicht dnn, das nicht, aber fett war sie damals nicht gewesen. Trotzdem, der Engel sah hbsch aus und Eva freute sich ber ihn. So war ich, dachte sie. Und wann habe ich aufgehrt, so zu sein? Sie drehte sich langsam vor dem Spiegel hin und her. Das Kleid gefiel ihr und sie sah wirklich nicht gar zu fett darin aus. Besser jedenfalls als in Rock und Bluse. Sie ffnete den Pferdeschwanz und schttelte den Kopf, bis die Haare locker ber ihre Schultern fielen. Die Schmidhuber war hinter sie getreten und legte ihre runden Arme um sie. 97 Gut siehst du aus, Eva. So solltest du die Haare immer tragen. Zu Hause trau ich mich nicht. Du kennst Papa ja. Die Schmidhuber lachte. Eine richtige Lwenmhne hast du, Eva. Sie fasste hinein in die Haare und zauste sie spielerisch. Lass dir nicht alles gefallen. Lass dir ja nicht alles gefallen! Also, was ist mit morgen Abend?, fragte der Vater am Freitag beim Essen. Eva senkte den Kopf ber den Teller mit dem Linseneintopf und fischte mit dem Lffel ein Speckstckchen heraus. Du kannst mich abholen, sagte sie. Gut. Der Vater war zufrieden. Wann soll ich kommen? Um zehn ist es aus. Aber Michel hat gesagt, dass es meistens ein bisschen lnger dauert. Wenn du vielleicht um halb elf kommst? Ich werde pnktlich sein. Er war wirklich besonders freundlich. Kunststck, dachte Eva, wo er doch seinen Willen durchgesetzt hat. Michel hatte es nicht schlimm gefunden, dass ihr Vater sie abholen wollte. Ich verstehe dich nicht, hatte er gesagt, ich an deiner Stelle wre froh, wenn ich abends nicht mehr mit der Straenbahn fahren msste. Und wo ist das eigentlich?, fragte der Vater. 98 Staufenerstrae, antwortete Eva. Staufenerstra-e 34. Der Vater schaute hoch. Eva hatte das erwartet. Sie suchte mit unbewegtem Gesicht weiter nach Speckstckchen. Es waren keine mehr da. Kann ich ein bisschen Essig haben? Berthold gab ihr den Essig. Wo gehst du denn hin?, fragte er. Bis du mal etwas mitkriegst, kann die Welt untergehen. Ich gehe morgen Abend tanzen, m ein Freizeitheim. Ach so. Berthold war nicht weiter daran interessiert, er fuhr fort, seine Suppe zu essen. Es klirrte laut, als der Vater seinen Lffel auf den Teller legte. Hast du gewusst, dass es da ist, Marianne? Er dehnte das a in da sehr lang, sehr von oben herab, fand Eva. So wie er das sagte, klang es so, als wre es mindestens die Vorhlle. Eva hatte gewusst, dass es so sein wrde. Die Mutter warf ihr einen Blick zu, einen von diesen Schulmdchen-Verschwrungsblicken, einen von diesen Kumpelblicken, die Eva nicht leiden konnte. Sie wurde nervs davon. Ja, sagte die Mutter. Natrlich habe ich das gewusst. Eva rgerte sich. Sie hat es nicht gewusst, sagte sie. Warum sollte es nicht dort drauen sein?, fragte 99 die Mutter schnell und sammelte die leeren Teller ein. Gleich bringe ich den Nachtisch. Der Vater schwieg. Er ist bse, dachte Eva. Er wrde mir am liebsten verbieten hinzugehen, aber jetzt traut er sich nicht mehr. Der Schokoladenpudding war dunkelbraun, die Pfirsichhlften aus der Dose sehr gelb, fast orange, und oben drauf prangten Schlagsahnehufchen, mit Schokostreuseln verziert. Das Auge isst immer mit. Eva schob einen Lffel Schlagsahne in den Mund und lie ihn auf der Zunge zergehen. Das neue Kleid war auch fertig geworden, die Schmidhuber hatte es heute gebracht. Viel Spa, Eva, hatte sie gesagt. Und vergiss nicht: Nichts gefallen lassen! Eva dachte an das Kleid. Streifen streckten wirklich. Das Kleid war schn und stand ihr gut. Sie schob den Glasteller mit dem Nachtisch weg. Ich bin satt. Ein bisschen Schlagsahne hatte sie gegessen, sonst nichts. Der Vater nahm den Teller und \J stellte ihn vor Berthold hin. Nur nichts verkommen lassen. Eva lag in der Badewanne und formte aus dem Schaum kleine Bllchen, kleine weie Schaumbllchen, vllig ohne Gewicht, die auf ihrer Haut kitzelten. Wenn sie tiefer in die Wanne hineinrutschte, konnte sie den Schaum knistern hren. Es klang sehr laut, sehr beeindruckend. Kaum zu glauben, dass dieses krperlose 100 Zeug diese Gerusche verursachte. Eva liebte Schaumbder, Fichtennadelschaumbder. Es roch nach Pinien und Urlaub. Sie musste nur die Augen zumachen. Ka-rola hatte ihr mal erzhlt, dass man in Sdfrankreich Lavendel am Straenrand pflcken knnte. Frankreich. Dieses Jahr klappt es nicht mit dem Urlaub, hatte der Vater gesagt. Aber nchstes Jahr fahren wir nach Frankreich. Und in zwei Jahren nach Griechenland. Und danach, hatte Eva gedacht, danach fahre ich nicht mehr mit. Sie lie ihre Hnde ber die Schaumhgel gleiten, streichelte den Schaum, bis er zerging unter ihren Handflchen. Schn war das warme Wasser, und schn war die Schaumdecke, die ihren Krper verbarg. Im Sand hatte sie sich eingegraben, vor zwei Jahren, in Grado, im warmen Sand. Berthold hatte sie voll geschaufelt, und als sie schon unter einer dicken Sandschicht lag, nur ihr Kopf schaute noch heraus, hatte er weiter Sand auf sie geworfen, bis sie das Gefhl bekam, zu ersticken unter der Last, wirklich begraben zu werden in der flimmernden Hitze, allein zwischen so vielen Menschen. Berthold hatte ihr Sand ins Gesicht geschaufelt und Vater, mit auffallend dnnen Beinen fr seinen mchtigen Krper, hatte gelacht. Er hatte laut gelacht, als Eva pltzlich anfing zu weinen und sich mit hastigen Hnden Sand vom Krper schob, ungeduldig mit den sandigen Fingern ber die Augen wischte, noch mehr Sandkrner in die trnenden Au- 101 gen brachte. Eva war wtend gewesen, wtend ber den Vater, wtend ber Berthold, hatte sich auf den Bruder gestrzt und sein Gesicht so lange in den Sand gedrckt, bis er wild um sich schlug. Der Vater hatte gelacht dazu. Mit seinen dnnen Beinen hatte er dagestanden und gelacht. Der Schaum war weniger geworden. Er bildete nur noch schwimmende Inseln auf dem hellgrnen Wasser. Eva konnte wieder ihren Bauch sehen und ihren Busen. Die Konturen ihres Krpers verschwammen, wenn sie mit der Hand im Wasser pltscherte. Der Vater klopfte an die Tr. Mach schnell, Eva. Ich muss mal. Eva trocknete sich ab und zog ihr Nachthemd an. In ihrem Zimmer nahm sie das Kleid, das ber ihrem Bett lag, und hngte es sorgfltig auf einen Kleiderbgel. Michel. Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Morgen um vier Uhr wrden sie sich am Brunnen treffen. Eva hngte den Kleiderbgel an den Schrank und lie sich auf ihr Bett fallen. Es war schwl 102 13 Komm endlich, Eva. Michel zog sie hinter sich her. In dem barackenartigen, hellen Bau liefen viele Kinder und Jugendliche herum. Hej, Michel, ist das deine Freundin?, fragte ein Junge mit einer schwarzen Samtweste. Michel nickte. Das war Stefan, ein Freund von meinem Bruder, erklrte er Eva. Aber jetzt komm, ich will dir jemand zeigen. Sie betraten einen mit Papiergirlanden geschmckten Raum. Auf einer kleinen Bhne stand eine Anlage, an der drei Mnner herumbastelten. Es quietschte und brummte. Michel hielt sich die Ohren zu. Petrus, schrie er. Kommst du mal? Einer der Mnner, ein groer, magerer, drehte sich um. Er lie die Anlage noch einmal so laut aufheulen, dass Eva erschrocken den Kopf einzog, dann drehte er den Knopf nach links. Es klappt jetzt, Jungs, sagte er zu den beiden anderen. Ihr knnt jetzt die Bnder ordnen. Dann sprang er mit einem Satz von der Bretterbhne herunter. Hallo, Michel. Er reichte Michel die Hand, dann Eva. Und du bist die Eva? Sie nickte verlegen. Der Mann war noch jung. Er gefiel ihr, trotz Hakennase und Stirnglatze. 103 Ich heie Peter Guardini. Aber hier sagen alle Petrus zu mir. Er grinste und sein Schnauzbart zog sich in die Breite. Obwohl das nicht immer ein Paradies ist, das ich bewache. Eva betrachtete Michel von der Seite. Mit leicht offenem Mund starrte er Petrus an. Wie ein kleiner Junge, der gelobt werden will, fand Eva. Petrus legte seine groe Hand auf Michels Schulter. Schn, dass du deine Freundin mitgebracht hast. Wir fangen gleich an. Ihr knntet noch im Garten beim Dekorieren helfen. O. K., Petrus, machen wir. Eva ging hinter Michel her durch einen kleinen Raum, in dem Tische und Sthle aufeinander gestellt waren und nur einen schmalen Weg zur Tr frei lieen, hinaus in die Sonne. Im Garten standen auf langen Tischen Pappteller und Pappbecher. Ein paar Mdchen dekorierten die Tische mit Zweigen. Schau mal, Ilona, dein Bruder mit einem Mdchen! Eva legte die Hand ber die Augen. Die Sonne blendete sie und sie konnte keine Gesichter erkennen. Ein Mdchen kam auf sie zu, jnger als Eva, farblos, fad, viel zu dick. Eva, verlegen, unsicher, htte am liebsten gekichert. Das Mdchen trug ein Kleid aus genau dem Stoff, den die Mutter fr sie hatte kaufen wollen. Was hatte die Mutter gesagt? Nimm lieber was Frischeres, Krftigeres. Dieses Mdchen sah nicht frisch aus. Im Gegenteil. 104 Wer ist das?, fragte das Mdchen und schaute Michel fragend an. Michel legte einen Arm um Eva. Das ist Eva, sagte er. Meine Freundin. Und zu Eva gewandt fgte er hinzu: Und das ist meine Schwester Ilona. Eva streckte dem Mdchen die Hand entgegen, wollte Guten Tag sagen oder so etwas, aber bevor sie noch den Mund aufmachen konnte, hatte das Mdchen sich umgedreht und war weggegangen. Eva zog die Hand zurck. Sie fhlte sich beschmt. Ilona ist ein bisschen komisch, sagte Michel. Aber sie meint es nicht so. Wenn du sie erst ein bisschen besser kennst, dann wirst du das merken. Eva schaute dem Mdchen zu, das schon wieder mit bedchtigen Bewegungen Zweige von einem blhenden Strauch schnitt. Ilona war ein unpassender Name fr so ein Mdchen, ein Name, der nach Lagerfeuer und Zigeunermusik klang. Eva half Michel beim Zurechtrcken der Bnke und beim Verteilen der Limoflaschen. Michel grinste: Bier gibt es drin an der Theke. Das muss man kaufen. Trinkst du schon Bier? Michel lachte. Hast du geglaubt, ich war' ein Baby? Nein, aber das Tueendschutzeesetz ... Eva war verwirrt. Ach das, antwortete Michel verchtlich. Auerdem bin ich gestern sechzehn geworden. 105 Wirklich? Warum hast du mir nichts gesagt? Ich dachte, wir feiern heute sowieso. Ich htte dir etwas schenken knnen. Schenk mir etwas, wenn ich wegfahre. Laute Musik drang aus dem Haus. Es fngt an, sagte Michel. Komm schnell. In dem geschmckten Raum hatten viele schon angefangen zu tanzen. Nebenan gibt es ein Programm fr die Kleinen und die, die nicht tanzen wollen, erklrte Michel. Was magst du? Tanzen. Sie brauchte viel Zeit diesmal, bis sie sich endlich in die Musik hineinfand, viel Zeit und Michels Hand. Aber dann ging es. Es ging dann sogar sehr gut. Ich kann das, dachte sie. Ich kann das immer wieder. Staunen und Freude fhlte sie. Freiheit. Sie tanzte schnell, Gesichter schwammen vorbei, fremde Gesichter, und manchmal Michel. Als sie schon fast keine Luft mehr bekam, ging sie mit Michel zu der kleinen Theke. Bier, bestellte Michel. Du auch, Eva? Sie schttelte den Kopf. Cola. Sie sagte das ganz automatisch. Selterswasser wre ihr lieber gewesen. Mach keinen Schei, Michel, sagte der brtige junge Mann hinter der Theke. Du weit genau, dass ich dir keins geben darf. Bin gestern sechzehn geworden. 106 Wirklich? Wenn ich es sage! Spter, sie hatten alle im Garten Wrstchen gegessen, wurde es sehr voll im Tanzraum. Die Musik war jetzt lauter, das Licht schummriger. Jemand hatte die groen Deckenleuchten ausgemacht. Eva tanzte. Sie tanzte auch weiter, als Michel wieder etwas trinken wollte. Sie tanzte allein weiter, merkte kaum, dass er wegging. Ein junge stellte sich neben sie, so einer mit langen Haaren, hautengen, glnzenden Hosen und einem bunten Hemd. Ein Angebertyp., aber ein sehr gut aussehender. Du tanzt gut, sagte er und griff nach ihr, wollte sie an sich ziehen. Nein, sagte Eva, die jetzt erst sah, dass viele Paare dicht aneinander gedrckt tanzten. Nein, das mag ich nicht. Gefalle ich dir nicht?, fragte der junge herausfor- dernd. Eva lie ihn stehen, drehte sich um und ging zur Theke. Eine Gruppe von Jungen und Mdchen stand dort herum, Bierflaschen in der Hand. Lasst mal Michels Braut durch, rief ein Rothaariger. Die anderen lachten. Eva rgerte sich, als sie merkte, dass sie rot wurde. Michel, deine Frau sucht dich!, sagte der Rothaarige. Eva wre am liebsten unsichtbar gewesen. Sie sprte 107 pltzlich, wie verschwitzt sie war, sprte, wie ihr Kr-per anschwoll und plump und unbeweglich wurde un-ter den neugierigen Blicken. Doch da war Michel und nahm ihre Hand. Hlt's Maul, Pete, sagte er zu dem Rothaarigen. Hlt's Maul und lass mein Mdchen in Ruhe. Was denn, antwortete der Rote. Seit wann bist du so empfindlich? Hltst dich jetzt wohl fr was Bes-seres, wie? So toll ist sie ja nun auch wieder nicht. Da-fr httest du zwei kriegen knnen. Er hat mit mir angegeben, dachte Eva, als sie hinter Michel herging, hinaus in den Garten. Er hat sicher al-len gesagt, dass ich ins Gymnasium gehe. Aber er hat vergessen zu sagen, dass ich so fett bin. Drauen im Freien war es kaum khler als im Haus. Es wird ein Gewitter geben, sagte Eva. Ja. Tut es dir Leid, dass du mich hierher gebracht hast? Nein, antwortete Michel bse. Der Pete ist ein blder Kerl. Man darf gar nicht hinhren, wenn er was sagt, so bld ist der. Komm wieder rein. An den Trpfosten gelehnt stand der Junge mit der engen Jeans und dem bunten Hemd. Na, sagte er. Wo "war denn mein kleiner Bruder mit seinem Frau-chen? Bisschen Hndchen halten? Traust du dich ber-haupt? Lass mich in Ruhe, Frank, sagte Michel und 108 drngte sich an dem Jungen vorbei. Als Eva durch die Tr ging, streckte Frank die Hand aus und streifte ihre Brust. Eva ging schnell weiter. Dein Bruder ist nicht besonders freundlich, sagte sie zu Michel. Er scht-telte den Kopf. Wir haben oft Streit. Er ist so. Eva schaute auf die Tanzenden, betrachtete sie, be-sonders die Mdchen, ihre Hften, die Weite ihrer Taillen, die engen Hosen, und sie fhlte sich wieder ganz fremd. Schlager, Schnulzenmusik. Michel legte den Arm um sie. Sie gab sich Mhe, nicht zur Seite zu sehen, nicht auf die Umgebung zu achten, nur Michels Hand auf ihrer Hfte zu spren, nur seinen Krper, der ihr so nah war. Nur das. Jemand tippte ihr auf die Schulter. Kannst du Wal-zer?, fragte Petrus. Ja. Entschuldige mal, sagte Petrus zu Michel und tanzte mit Eva. In einer Ecke stand ein Paar, fast bewe-gungslos, eng umschlungen. Eva drehte den Kopf weg. Pltzlich war sie sehr mde. Stefan tanzte mit ihr und der Junge mit der schwarzen Weste, dann wieder Mi-chel. Sie lie sich drehen und fhren, bis das Licht vor ihren Augen verschwamm und das Zimmer anfing, sich zu drehen. Ich brauche frische Luft. Sie setzten sich auf die Stufen, die vom Haus m den Garten fhrten. Im Garten war niemand. Auf den 109 Tischen standen die Pappteller mit Senfresten, leere Limoflaschen, angebissene Semmeln. Eva rckte nher zu Michel, ganz dicht an ihn heran. Ich bin verschwitzt, sagte sie, ich stinke. Nein, du stinkst nicht. Michel legte seine Hand auf ihr Knie, schob sie weiter unter ihren Rock. Gehst du noch ein bisschen mit mir spazieren? Seine Stimme war so leise, dass Eva ihn kaum verstehen konnte. Er legte seinen Kopf an ihre Schulter. Eva schaute hinauf in den Himmel und die Welt war voller Sterne. Seine Hand, dachte sie. Wenn uns jemand sieht. Was macht denn unser Kleiner da?, fragte Frank. Eva zuckte zusammen. Es gab keine Sterne mehr auf der Welt. Michel hatte seine Hand zurckgezogen. Hau ab, Frank. Wie redest du denn mit mir? Bist du verrckt geworden? Geh halt mit deiner Puppe woandershin, wenn du sie aufs Kreuz legen willst. Nimm dich in Acht! Michel war aufgesprungen und starrte seinen Bruder wtend an. Frank stand da, die Daumen m den Schlaufen seiner Jeans eingehakt, breitbeinig. Eva wich Michels Blick aus. Sie machte ein paar Schritte seitwrts in den Garten, hinein in den Schutz der Dunkelheit. Ein Junge mit einer Lederjacke trat aus der Tr. Was ist, Frank, ziehst du wieder eine Schau ab?, sagte er. Frank beachtete ihn nicht. Wie machst du es denn 110 mit ihr?, fragte er Michel. Kommst du berhaupt dran, wenn du auf ihr liegst? Du alte Sau! Werd nicht frech, Kleiner, sonst kannst du was erleben! Probier's doch! Los, probier's doch mal! Michels Stimme klang hoch und schrill. Frank, ohne die Arme zu bewegen, trat nach Michel. Willst du deinem Fettklo beweisen, was fr ein toller Kerl du bist? Michel strzte sich auf ihn, hmmerte wild mit den Fusten auf ihn ein. Eva stand erstarrt. Ihr Mund ffnete sich, aber sie schrie nicht. Sie sah, dass auf einmal einige Jungen und Mdchen in der Tr standen und dem Kampf zuschauten. Mensch, Frank, hr auf zu spinnen!, rief einer. Los, Michel, zeig's ihm!, drngte ein anderer. Pltzlich hatte Frank ein Messer in der Hand. Nein!, schrie Eva. Nein, nein! Hatte sie laut geschrien? Panik erfasste sie. Sie wollte sich auf die Kmpfenden strzen, aber sie konnte sich nicht rhren. Die anderen, die in der Tr, hatten weie Gesichter, wei mit dunklen Lchern dann. Jemand schob Michel einen Stuhl zu, der Junge, der vorher Zeig's ihm gesagt hatte. Michel nahm den Stuhl an zwei Beinen, hielt ihn hoch ber seinem Kopf, machte zwei staksige Schritte auf Frank zu und schlug mit dem Stuhl auf ihn ein. Eva schloss die Augen. Als sie sie wieder aufmachte, 111 lag Frank auf dem Boden. Aus einer Wunde an seinem Kopf lief Blut und verklebte die langen Haare zu Strhnen, zu rtlich braunen, hsslichen Strhnen. Michel stand da, noch immer den Stuhl in den Hnden, und starrte auf seinen Bruder. Nein, wiederholte er immer wieder, nein, nein! Das nicht! Ein Junge mit einem silbernen Kreuz um den Hals nahm Michel den Stuhl aus der Hand und trug ihn zurck ins Zimmer. Die anderen machten ihm schweigend Platz. Dann war Ilona da, setzte sich neben Frank und nahm seinen Kopf auf den Scho. Sie wiegte ihn hin und her, wie eine Puppe, und Trnen liefen ber ihr Gesicht. Ihr Kleid war hochgerutscht, ihre Oberschenkel waren dick und wei in dem Licht, das aus der offenen Tr fiel. Ilona, nicht! Frank muss ganz ruhig liegen. Petrus hatte sich gebckt und hielt den Kopf des Jungen. Ilona schaute ihn mit groen Augen an. Jemand kam und zog sie weg. Reiner, ruf den Notarzt an, sagte Petrus. Ein Junge ging zurck in das Haus. Niemand sagte ein Wort. Auch als der Notarzt kam, mit Martinshorn und Blaulicht, wurde nicht viel gesprochen. Frank Weilheimer heit er, ja. Nein, wir haben nichts gesehen. Wir waren beim Tanzen. Er muss gestrzt sein. Ja, so wird es gewesen sein. 112 Die anderen standen um Michel herum, der mit aufgerissenen Augen zusah, wie Frank auf eine Trage gehoben und zum Wagen gebracht wurde. Wenn du nur nicht gekommen wrst...!, sagte Ilona zu Eva. Alle halfen, das Haus aufzurumen. Petrus brachte Michel und Ilona nach Hause, war aber bald wieder zurck. Schluss mit der Feier, sagte er. Niemand antwortete ihm. Eva sammelte gerade die Pappbecher ein, die berall herumlagen, als ihr Vater kam. Sehr frhlich seht ihr ja nicht aus, sagte er. Eva fing an zu weinen. Hat dir jemand etwas getan?, fragte der Vater. Er sah gro und stark aus und sehr besorgt. Eva lehnte sich an ihn. Er legte den Arm um sie. Hat dir jemand etwas getan?, fragte er noch einmal. Eva schttelte den Kopf und wischte sich die Trnen aus dem Gesicht. Nein, niemand hatte ihr etwas getan. Nichts war geschehen, nein. Eva drckte ihr Gesicht an seinen rmel. Der Geruch war vertraut und trstend. Nein, es war nichts. Es hat einen Unfall gegeben, erklrte Petrus dem Vater. Ein Junge ist gestrzt. Eva weinte, den Kopf in die Kissen vergraben, mit heiem, verquollenem Gesicht. Willst du deinem Fettklo beweisen, was fr ein toller Kerl du bist? Und 113 dann Frank, auf dem Boden liegend, Ilona, die seinen Kopf wiegte, Ilona, die sagte: Wenn du nur nicht gekommen wrst ...! Eva sprte, wie ihr Magen sich zusammenzog. Ich Fettklo! Meinetwegen ist das passiert, nur meinetwegen. Und Michel? Warum war er nicht einfach weggegangen? Frank hatte ein Messer in der Hand, es blitzte im Lichtschein. Eva, mit kribbelnden Wangenmuskeln und vorgeschobenem Unterkiefer, erreichte gerade noch das Badezimmer, beugte sich ber das Waschbecken und wrgte, wrgte alles heraus, bis ihr Bauch sich zusam-menkrampfte. Sie drehte den Kaltwasserhahn auf und lie das Wasser ber ihr Gesicht und ihre Hnde laufen, splte das Erbrochene weg, wischte so lange, bis nur noch der suerliche Geruch brig blieb. Sie fhlte eine groe Leere in sich, ein riesiges Loch, hohl war sie, ausgehhlt, schmerzhaft ausgehhlt. Mir tut der Magen weh, weil er so leer ist. Ein trstlicher Gedanke, dass sie etwas gegen die schmerzende Unlust tun konnte. Sie a eine trockene Scheibe Weibrot, ganz langsam a sie, kaute lange, um ihren armen, gepeinigten Magen zu schonen. Das trockene Brot kratzte in ihrem Hals. Sie wrmte sich Milch, a ein Butterbrot dazu, dann noch eines, Salami war im Khlschrank und Mil~ kana Schmelzkse, zwei Ecken waren noch da. Die Schmerzen in ihrem Bauch lieen nach, sanft wurde 114 ihr Magen, ganz sanft und voll. Sie schlich in ihr Bett zurck. Es gab kein Problem auer diesem Problem, dem Problem der Probleme. Der Speck war es, diese widerliche, weiche Wabbelschicht, die zwischen ihr und ihrer Umwelt stand, Stodmpfer und Kokon, Polster und Eisenring. Nur der Speck war schuld. Speck bedeutete Traurigkeit, Abseitsstehen, Abgelehntwerden, bedeutete Spott, Angst, Scham. Eingebettet in Speck verbarg sie sich, sie, die wahre Eva, die eigentliche Eva, so wie sie sein sollte: unbelastet von der Last des Fettes, leicht-lebig, hebens-wert. Eingesperrt in dieser Fettschicht war sie, die wirkliche Eva, die nicht stndig an Essen dachte, an Nahrung und Fllstoff, die nicht so beschmend heimlich ber alles Essbare herfiel und es in sich hineinfra wie eine Maschine, wie ein Bagger, alles, egal was, und so lange, bis nichts mehr da war. Eingepfercht in diesen Kokon lebte die andere Eva, die, die keine Gier kannte, kein wahlloses Mampfen, Schlingen, Schlucken, Wrgen. Eines Tages, an irgendeinem Tag, wrde der Speck in der Sonne schmelzen, ein ganzer Fettbach wrde in den Rinnstein flieen, eine widerliche, stinkende, lige Flssigkeit, und brig blieb sie, die andere Eva, die schwerelose, heitere, wirkliche Eva. Die glckliche Eva. 115 14 Um drei Uhr sa Eva montags am Brunnenrand, die Haare straff nach hinten gekmmt, mit einer Spange gehalten. Michel kam nicht. Seltsam, dass die Sonne scheint, dachte sie. Es msste regnen. Es msste grau sein. Die Bume sollten sich biegen im Wind und kein Vogel sollte singen drfen. Sie zog sich ihre Sandalen aus und ging barfu ber den Kiesweg. Die kleinen Steinchen stachen und piekten in ihre weichen Fusohlen. Das ist gut, dachte sie. Sie versuchte, sehr fest aufzutreten, so fest, dass der Schmerz sie zwang, die Zhne zusammenzubeien. Es tut weh, sagte sie leise vor sich hin, rhythmisch, zu jedem Wort ein Schritt. Es-tut-weh-es-soll-wehtun-es-muss-wehtun-es-geschieht-mir-recht-dass-es-wehtut. Durch den Park ging sie, bis auf die andere Seite, bis zum Gartencafe, und dann wieder zurck. Michel war nicht da. Ihre Beine waren schwer wie Blei. Sie zog ihre Sandalen wieder an und ging in Richtung Bahnhof. An der groen Buchhandlung blieb sie stehen, zgerte, sie musste sich berwinden hineinzugehen. 116 Kann ich Ihnen was helfen?, fragte eine junge, sehr schlanke Buchhndlerin. Danke, sagte Eva. Ich schaue nur. Dann stand sie vor einem Regal mit Ditbchern, Bchern zum Abnehmen, Gewichtsreduzierung. Gesnder leben. Sie nahm ein Buch heraus und bltterte darin herum. Brot in Kalorien und Joule, Joghurt in Kalorien und Joule, ein mageres Steak (150 g) in Kalorien und Joule. Eva drehte sich um. Sie fhlte sich beobachtet. Aber da stand nur die Buchhndlerin, die schlanke. Brauchen Sie etwas? Eva schttelte den Kopf, legte das Buch zurck in das Regal und nahm, ohne hinzusehen, ein anderes. Das mchte ich haben. Zu Hause setzte sie sich an den Schreibtisch und fing an zu lesen. Bis abends wusste sie ganze Kalorientabellen auswendig, gelernt wie Vokabeln. Ich bin schuld, weil ich so dick bin. Ich bin an allem schuld, weil ich mich nicht beherrschen kann. In welchem Krankenhaus war Frank? Tausend Kalorien am Tag, nicht mehr. Warum war Michel denn nicht gekommen? Was war mit Frank? Eva! Abendessen!, rief die Mutter. Zwei Scheiben Toast mit Butter und Lachsschinken, selbst wenn man die Butter dnn streicht, sind fnfhundert Kalorien. Ich habe keinen Hunger, sagte Eva. Ich mag heute nichts. 117 Wieso denn?, fragte die Mutter. Bist du krank? Mama, kann ich dir trauen? Bist du verschwiegen? Nein, lieber nicht. Eva hatte Angst vor peinlichen Bemerkungen. Lass nur, es gibt Mnner, die haben ganz gern was in der Hand. Ich bin nicht krank, sagte sie zu ihrer Mutter. Ich habe ganz einfach keinen Hunger. Die Tage vergingen qulend langsam. Aufstehen, sich anziehen, beim Frhstck die vorwurfsvollen Blicke der Mutter, wenn Eva nur schwarzen Kaffee trank. Sie schmierte sich, um diese Blicke zu beschwichtigen, extradicke Brote fr die Schule, drei doppelte, die sie dann an der nchsten Straenecke in einen Papierkorb werfen wrde. Sie fastete. Franziska fragte: Bist du krank? Nein, antwortete Eva, erklrte das Knurren ihres Magens mit einer pltzlichen belkeit, irgendein Virus wird es wohl sein. Franziska legte ihr trstend die Hand auf den Arm. Ihre Hand war warm und angenehm, mit weichen, trockenen Handflchen. Obwohl Eva frstelte, trotz der Wrme des Sommertages frstelte sie, waren ihre Handflchen feucht. Wenn die Gier nach Essen sie berfiel, wenn sich ihr Magen whrend des Unterrichts schmerzhaft zusammenzog, brauchte sie sich nur ein bisschen zurckzulehnen und ihre Oberschenkel mit denen von Franziska zu vergleichen. Franziska, immer in Hosen, mit 118 schmalen Beinen, die Knie fast mager, und dagegen sie: Knie wie Dampfnudeln, ber die der Rock hochrutschte beim Sitzen, Wlste oberhalb der Knie, Fettwlste. Wulst, Wlste. Was fr ein hssliches Wort. Ein Wort zum Ekeln. Die Vormittage waren schlimm, aber die Nachmittage waren noch schlimmer. Beim Mittagessen sagte sie, sie htte keinen Hunger, sie sagte, sie htte die Schulbrote, die drei doppelten, erst auf dem Heimweg gegessen. Dann ging sie zum Park, wartete auf Michel, wusste, er wrde nicht kommen, hoffte, er wrde doch kommen. Aber warum sollte er? Sie war schuld an allem. Oder nicht sie, nicht die Eva, diese verdammte Fetthlle war schuld. Um vier ging sie wieder nach Hause, zog sich in ihr Zimmer zurck, lernte wtend und verbissen Vokabeln, um hinterher festzustellen, dass sie sie nicht konnte. Vor dem Abendessen ging sie ins Bett. Mir ist nicht gut, Mama, wirklich. Lass mich in Ruhe, bitte. Lass mich schlafen. Die Brote, die die Mutter ihr brachte, mit ngstlichem, besorgtem Gesicht, Kind, was ist denn los mit dir?, wickelte sie in eine Plastiktte und versteckte sie in ihrer Schultasche. Die Brote wrde sie am nchsten 119 Morgen in den Papierkorb werfen, zusammen mit den Schulbroten. Sie weinte sich in den Schlaf. Warum kam Michel nicht? Eva hatte Schmerzen, qulende, durch nichts mehr zu unterdrckende Schmerzen. Ihr Magen tat so weh, noch nie hatte ihr etwas so wehgetan. Und in ihrem Bauch krampften sich die Drme, wie Messerstiche war das. Sie nahm ein Buch und versuchte zu lesen, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Schwarze Flecken tanzten auf dem Papier. Sie konnte nur noch an Essen denken, alles andere wurde unwichtig neben dem Verlangen, ihren Hunger zu stillen. Still werden, die Gerusche ihres Magens still werden zu lassen. Hunger tut weh. Ich will nicht essen, dachte sie. Ich will nicht. Vier Pfund hatte sie abgenommen in diesen vier Tagen, vier Pfund. Natrlich war das nicht besonders viel im Vergleich zu den zwanzig, die sie noch abnehmen musste, aber immerhin! Sie legte das Buch weg und griff nach den Dittabellen. l Scheibe Brot, 40 g, 100 Kalorien 5 g Butter, 38 Kalorien 100 g Salami, 526 Kalorien 100 g Gorgonzola, 410 Kalorien l Tafel Schokolade, 536 Kalorien Eva fror, obwohl die Sonne schien. Ihre Haut zog 120 sich zusammen und ihr Kopf drhnte. Sie ging in die Kche, wehrlos, hilflos ihrem Begehren ausgeliefert, ohne einen kleinen Rest Kraft zum Widerstand, und griff nach dem Brot, drckte den groen Laib gegen ihren Bauch und schnitt mit dem Messer, dem mit der gesgten Schneide, eine dicke Scheibe herunter. Sie legte die Brotscheibe auf ein Holzbrett und bestrich sie mit Butter, ganz dick. So dick brauchst du die Butter auch nicht zu schmieren, sagte die Mutter. Lass mich, ich habe Hunger. Eva nahm den Salzstreuer, einen Porzellanfliegenpilz mit Lchern in dem wei gepunkteten Hut, weie Punkte auf rotem Hut. Ein Fliegenpilz ist giftig. Sie streute die hellen Kristallkrnchen auf die Butter. Soll ich dir nicht die Suppe warm machen?, fragte die Mutter. Eva antwortete nicht. Sie trug das Holzbrett in ihr Zimmer, legte es auf den Schreibtisch und setzte sich davor. Sie biss hinein in das Brot, riss den Bissen so heftig los, dass das Brot in ihrer Hand auseinander brach. Was gibt es auf der Welt auer Kauen? Welche Weichheit lsst sich mit Butter vergleichen, khler Butter auf frischem Brot? Welche Wrze ist besser als Salz, nicht zu viel, nicht zu wenig? Es gibt kein Glck auer diesem: Kauen, das Brot im Mund zerkauen und runterschlucken und dabei das Brot in der Hand sehen, 121 das Gefhl des berflusses: Es gibt noch den nchsten Bissen, dann noch einen. Der Hals tat ihr weh beim Schlucken und tief in ihr sa die Enttuschung, das Versagthaben, Es-wieder-einmal-nicht-geschafft-Haben, und wurde zugedeckt mit diesem kstlichen Brei aus zerkautem Brot, Butter und Salz. Die letzten Wochen vor dem Zeugnis. Jetzt war nichts mehr zu ndern, nichts konnte man mehr ausbgeln. Franziska war sehr still. Ich schaffe es nicht, sagte sie zu Eva. Ich schaffe es einfach nicht. In Mathe kriege ich eine Fnf, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, ist das noch geschmeichelt. Dafr bist du in Englisch doch so gut. Aber nur in Englisch. Mein Vater sagt, ich sollte die Klasse freiwillig wiederholen, das wre das Gescheiteste. Sie standen auf dem Schulhof. Das Geschrei um sie herum wurde pltzlich ganz laut, drhnte in ihren Ohren, wurde so schrill, dass Eva nichts mehr wahrnehmen konnte auer diesem Geschrei, auch nicht mehr die leise Stimme neben ihr. Und dann wusste sie, wie wichtig es ihr war, dass Franziska in der Klasse blieb, weiter neben ihr sa, morgens einfach da war und ihr die Hand gab. Nein, sagte Eva. Nein, du sollst nicht wiederholen. 122 Aber so geht es doch auch nicht weiter. Franziska hakte sich bei Eva ein. Ich bin einfach zu bld fr Mathe. Wenn ich es nur halb so gut knnte wie du! Eva zog Franziska in den leeren Gang zur Turnhalle. Ich werde mit dir lernen, sagte sie. Dem Hochstein werden noch die Ohren schlackern, so gut wirst du in Mathe werden. Wirklich? Ja, sagte Eva. Wirklich. Ich werde mit dir lernen. Franziska, schlank, mit einem leichten Duft nach Flieder, legte ihre Arme um Evas Hals und gab ihr einen Kuss auf die Backe. Du bist ein Schatz. Eva stand steif und unbeholfen unter dieser Berhrung. 123 15 Michel kam am Freitag. Eva sah ihn schon von weitem. Hallo, Eva. Sie setzte sich neben ihn und berhrte seine Backe, eine dick geschwollene Backe mit einem blulich violetten Bluterguss. Wer war das?, fragte sie. Mein Vater. Wegen Frank. Unter Brdern schlgt man sich nicht, sagt er. Eva schwieg. Ich bin froh, wenn ich endlich wegfahren kann. Am einunddreiigsten Juli. Um vierzehn Uhr sechzehn geht mein Zug. Ja, sagte Eva. Und dann: Wie geht es Frank? Es ist nicht so schlimm, antwortete Michel. Gehirnerschtterung. In zwei Wochen darf er wieder heim. Willst du eine Cola? Michel nickte. Sie gingen nebeneinander her, ohne sich zu berhren, setzten sich unter die Platane, an denselben Tisch wie beim ersten Mal, und bestellten Cola. Der Frank ist schuld, sagte Michel. Hast du sein Messer gesehen? 124 Ja. Er luft immer mit einem Messer herum. Jeder wei das und jeder hat Angst davor, sich mit ihm anzulegen. Auch Petrus sagt das. Er war gestern Abend bei uns. Mein Vater wollte ihn erst nicht reinlassen. Er sagt, der Petrus ist schuld, er htte auf uns aufpassen mssen. Dafr wrde er bezahlt. Aber dann hat er doch mit ihm geredet. Deswegen durfte ich heute kommen. Ich habe schon gestern und vorgestern auf dich gewartet. Petrus hat gesagt, dass ich kommen muss. Wrst du sonst nicht gekommen? Ich wei nicht. Michel sah unglcklich aus. Ich habe mich geschmt, sagte er. Warum? Ich wei nicht. Er sprach sehr langsam. Wegen allem halt. Weil ich mich geprgelt habe. Und weil Frank im Krankenhaus ist. Eva bestellte noch zwei Cola. Michel, warum bist du denn so wtend geworden? Warum hast du ihn nicht einfach stehen lassen und bist weggegangen? Das hat mich Petrus auch gefragt. Und was hast du ihm geantwortet? Dass Frank dich beleidigt hat. Eva fhlte, wie sie ganz zittrig wurde innen, sie fhlte sich schwach und ihr Magen wurde zu einem Klumpen. 125 Weil er gesagt hat, dass ich ein Fettklo bin? Michel wurde rot, schaute auf sein Glas, nickte. Aber ich bin dick, sagte Eva und der Klumpen in ihrem Bauch lste sich. Ich bin ein Fettklo. Sie musste lachen. Hast du das denn nicht gesehen, Michel? Schon, sagte er. Natrlich habe ich es gesehen. Der Klumpen war ganz weg, ganz weich war ihr Bauch und angenehm warm. Eva legte ihre Hnde auf den Tisch. Mit der linken Hand, die das Colaglas umklammert hatte, ganz dicht an ihrem Krper, schob sie das Glas weiter in die Mitte des Tisches, und die rechte, die sie vorher auf ihrem Scho liegen gehabt hatte, fest zu einer Faust geballt, legte sie offen auf den Tisch, nahe zu Michels Hnden. Trotzdem, den Frank geht es einen Scheidreck an, ob du dick bist oder nicht. Er nahm ihre Hand. Sie gingen am Fluss entlang. Bald fahre ich weg, sagte Michel. Es dauert nicht mehr lange. Eva nickte. Schreibst du mir? Natrlich. Du mir auch? Michel legte den Arm um sie. Eva lachte und schaute den Vorbergehenden direkt ins Gesicht. Schaut her, htte sie am liebsten laut gerufen. Schaut alle her! Ich habe jemand. Ich, die dicke Eva, habe einen Freund. Sie waren aus den Anlagen heraus, gingen am Ufer 126 entlang, ber Kies und moosbewachsene Steine. Ev ging langsam, vorsichtig. Sie wusste, "was kommer wrde. Sie trafen einen Angler, der reglos dastand und der rotweien Schwimmer an seiner Angelschnur beobachtete, der weit drauen in der Strmung trieb. Dann war niemand mehr. Michel ging vor, bahnte den Weg durch das Buschwerk und hielt die Zweige zur Seite. Auf einer kleiner Lichtung setzten sie sich ins Gras. Eva pflckte einer Grashalm und kaute darauf herum. Er schmeckte bitter. Wei deine Mutter, dass du bei mir bist?, fragte Michel. Nein, sie denkt, ich wre bei einer Freundin. Michel lachte. Ich habe zu Hause auch nichts gesagt, wegen Ilona. Meint sie immer noch, dass ich an allem schule bin? Ja. Sie liebt Frank. Ich wei auch nicht, warum. Dich nicht? Doch. Mich auch. Sie lagen nebeneinander im Gras, dicht nebeneinander. Eva war wehrlos unter Michels Streicheln, seinen Atem an ihrem Hals, seinen Hnden. Nein, sagte sie. Nicht. Nicht, sagte sie. Noch nicht. 127 Sie richtete sich auf. Ich will nicht. Nicht jetzt. Aber du bist doch mein Mdchen, sagte Michel hilflos. Ich bin dein Freund. Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben. Angst? War das Angst? Sie nahm einen Kfer, der ber ihr Bein krabbelte, vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und setzte ihn zurck ins Gras. Dann streckte sie sich wieder neben Michel aus. Die Sonne blendet. Jetzt nicht mehr. Michel legte sein Gesicht ber ihres. Eva hrte eine Hummel an ihrem Ohr vorbeibrummen. Sie kssten sich. Michels Augen waren nicht mehr so braun, um die Pupillen herum hatte er graugrne Flecken. Wie lang seine Wimpern waren! Das mag ich, sagte Eva. Das schon: so mit dir zu liegen. Michel streichelte sie. Seine Hnde! Eva lag mit geschlossenen Augen. Du bist ein schnes Mdchen, sagte Michel. Das Dunkel war kein Dunkel. Vor ihren Augen zersprangen rote Kreise, sprhten Funken in violette Nebel. Nein, sagte Eva. Ich will das nicht. Nicht jetzt. Nicht so. Ich wei nicht, warum, aber es macht mir Angst. Michel antwortete nicht. Sie stemmte ihre Arme gegen ihn. Er rutschte von ihr herunter. Er hatte die 128 Arme um sie gelegt, drckte sich an sie, drngte von der Seite gegen ihr Bein. Wie ein Hund, dachte Eva erschrocken. Genau wie ein Hund. Sie sah dieses nackte Gesicht, dieses fremde Gesicht, schutzlos, hilflos, mit geschlossenen Augen, sah die geffneten Lippen, sah die Haut, gespannt ber den Backenknochen, die etwas unregelmigen Zhne, die Eckzhne standen vor. Seine Nasenflgel waren sehr dnn und zitterten. Noch nie hatte Eva ein so nacktes Gesicht gesehen. Michel atmete sehr laut und schnell. Eva fhlte pltzlich die Peinlichkeit dieser Situation, wollte sich entziehen, aber Michel umklammerte sie fest, vergrub sein Gesicht an ihrer Brust und sthnte. Dann lie er sie los, drehte sich auf den Bauch und lag, das Gesicht zur Seite gedreht, schweigend da. Eva setzte sich auf. Sie war ratlos. Sie wusste nicht, ob sie etwas falsch gemacht hatte, sie wusste nicht, was Michel jetzt dachte. Sie war traurig. Sie betrachtete den Strauch neben sich. Was war das fr einer? Dornen und winzige weie Blten. Warum hatte sie in Biologie nicht besser aufgepasst? Warum sagte Michel nichts? Sie dachte an Ilona. Wie sanft sie Franks Kopf gehalten hatte. Eva drehte sich um und berhrte Michel. Bist du jetzt sauer? Pause. Ich kann nicht, sagte Eva. Nicht so schnell. Es macht mir Angst, ich wei auch nicht, warum. Es ist 129 so ... Sie suchte nach dem Wort fr ihr Unbehagen, fand es nicht und schwieg. Macht doch nichts, sagte Michel. Dann halt nicht. Ich habe ja gewusst, dass du nicht so bist wie die anderen Mdchen. Vielleicht werde ich noch so, sagte Eva. Vielleicht lerne ich es noch. 130 16 Ich habe eine Neuigkeit fr euch, sagte Herr Hochstein. Es wird noch eine zustzliche neunte Klasse eingerichtet. Fnf Schlerinnen sollen aus den bestehenden Klassen in die neue berwechseln. Nach Mglichkeit sollen es welche sein, die sich freiwillig melden. Warum?, fragte Susanne, die Klassensprecherin. Warum soll es pltzlich noch eine Neunte geben? Die Klassen sind zu gro, das wisst ihr doch auch. Siebenunddreiig! Es wird euch viel besser gehen, wenn ihr weniger seid. Also, berlegt es euch und redet mal darber. Morgen machen wir eine Diskussionsstunde, falls es Schwierigkeiten gibt. Eva sa ganz still. Siebenunddreiig, dachte sie. Natrlich sind Siebenunddreiig zu viel. Aber auch nicht viel mehr als zweiunddreiig. Und so lange sind wir jetzt zusammen, beinahe fnf Jahre. Da knnen die doch nicht einfach kommen und sagen: Fnf mssen raus. Welche fnf? Wer wrde gehen? Sie sah, von ihrem Platz in der letzten Reihe, dem Platz neben Franziska, die Kpfe, die sich ber die Hefte beugten, sah Hnde, die nach dem Lineal griffen, nach Bleistift und Zirkel, hrte das dumpfe 131 >plopp<, mit dem Zirkel auf Papier stieen, das leichte Kratzen der Bleistifte, Rascheln beim Umblttern. Christine hustete. Sie hustete schon die ganze Woche. Wie konnte sie sich nur so erkltet haben, jetzt, mitten im Sommer? Heidi und Monika waren krank. Heidi fehlte schon seit ber drei Wochen. Was hatte sie eigentlich? Warum kmmerte sich niemand darum? Brachte Inge ihr die Aufgaben? Sie wohnten nebeneinander. Aber Inge steckte doch eigentlich immer mit Brigitte und Nina zusammen. Welcher Winkel ist denn da gemeint bei der Aufgabe b?, fragte Maxi. Alpha 32 Grad natrlich, antwortete Irmgard hinter ihr. Irmgard hatte eine neue Bluse an, rosa. Das wird die Modefarbe. Karola, Fachmann in Fragen der Garderobe, hatte das besttigt. Wer wrde freiwillig aus der Klasse gehen? Agnes, in der ersten Reihe, weil sie so kurzsichtig war, die Kleinste aus der Klasse, sah aus wie zwlf, trug immer nur Bluejeans und T-Shirts, sie sah jeden Tag gleich aus. Ob ihre Eltern kein Geld hatten? Claudia und Ruth flsterten miteinander. Sie wrden sich nie trennen. Sie waren schon seit der fnften Klasse miteinander befreundet. Die Einzigen eigentlich, bei denen die Freundschaft gehalten hatte. Maja und Anna waren lange zusammen gewesen, aber jetzt ging Maja mit Ines und Anna mit Susanne. Was war eigentlich, wenn freiwillig niemand aus der 132 Klasse ging? Die Turnstunden fielen ihr ein, wenn Mannschaften gebildet wurden. Waren es die, die erst am Schluss gewhlt wurden, die gehen mussten? Was dachten die anderen? Wurde von ihr erwartet, dass sie freiwillig gehen sollte? Warum ich?, dachte Eva. Ich will nicht gehen. Ich kenne alle. Alexandra war eine Auenseiterin, sie und Sabine Karl. Keiner mochte Sabine Karl. Warum eigentlich nicht? Wrden sie jetzt wollen, dass Sabine Karl geht? Eva kmpfte gegen die aufsteigende Trauer und Resignation. Es ist nicht nur, dass ich alle kenne, dachte sie. Kennen ist es nicht allein. Es ist noch etwas anderes. Hier gehre ich her, hier in diese Klasse. Karola sthnte ber der Aufgabe. Von ihr wrde niemand erwarten, dass sie ginge. Sie, Lena, Babsi, Tine und Sabine Mller, die waren eine richtige Clique, die Schnen, die in den Pausen immer zusammensteckten. Was passierte wirklich, wenn keine freiwillig gehen wollte? Konnte man das per Beschluss entscheiden? Oder mit geheimer Wahl? Eva fror. Eva, hast du heute keine Lust zum Arbeiten oder was?, fragte Herr Hochstein. Karola lachte laut. Ich habe jedenfalls keine Lust, sagte sie. Bald sind Ferien, da kannst du dich ausruhen, antwortete Herr Hochstein. Eva wurde rot und nahm ihren Zirkel. 133 In der Pause drngten sie sich zusammen, alle Mdchen der 9 b. Warum soll pltzlich jemand raus aus der Klasse? Ich finde das bld, sagte Kathrin, die sonst sehr wenig sagte. Ich auch. Will irgendjemand freiwillig gehen?, fragte Susanne. Mir wrde es nichts ausmachen. Ich habe sowieso meine Freundin in der 9 a, wenn die sich auch melden wrde, wre das ganz schn fr mich. Das war Ingrid. Finde ich aber nicht gut, dass du einfach von uns wegwillst. So ist das ja nicht. Aber wenn doch jemand raus muss! Wir sollten uns das nicht gefallen lassen, sagte Eva. Wir sollten uns wehren. Keiner darf gezwungen werden, aus einer Klasse zu gehen, in der er nun schon fast fnf Jahre drin ist. Richtig. Eva hat Recht. Wir lassen uns das nicht gefallen. Wenn einer das selbst will, weil er zum Beispiel eine Freundin in einer anderen Klasse hat, dann ist das in Ordnung. Aber keiner soll mssen. Wenn es aber einfach vom Direktorat bestimmt wird?, fragte Agnes. Dann streiken wir. Wie? Stell dich nicht so bld. Entweder kommen wir berhaupt nicht zur Schule oder wir sitzen in den Bn- 134 ken und machen nichts, irgendetwas wird uns schon einfallen. In den Bnken sitzen und nichts machen ist das Beste, sagte Eva. Wir gehen jedenfalls nicht raus, ich und Eva, sagte Franziska ganz laut. Wir weigern uns. Der Esel nennt sich immer zuerst. Karola gab Franziska einen freundlichen Sto. Eva wurde ganz warm vor Freude. Wir gehen nicht raus, ich und Eva. Wir sollten einen Brief schreiben bis morgen, schlug sie vor, mit allen Argumenten dagegen, und dass wir entschlossen sind, uns zu wehren, wenn das Direktorat ber uns bestimmen will. Den sollten wir alle unterschreiben und beim Direktor abgeben. Und uns auf keine Diskussionsstunde einlassen. Susanne klopfte Eva anerkennend auf die Schulter. Das ist eine gute Idee, Eva. Christine hustete wieder. Wo hast du dich eigentlich so erkltet, mitten im Sommer?, fragte Eva. Ich war bld, erklrte Christine. Ich war abends mit meinen Eltern spazieren, und weil ich ein neues Kleid anhatte, wollte ich keine Jacke darber ziehen, obwohl es khl war. Und dann hat es sogar noch angefangen zu regnen. Wer schn sein will, muss leiden. Christine lachte. Hast du so einen Bldsinn noch nie gemacht? 135 Eva htte nein sagen mssen, nein, ich zieh immer gern einen Mantel darber, das macht schlank, aber sie sagte: Doch, natrlich. Also, was ist, fragte Susanne, wer schreibt den Brief? Karola sagte: Eva soll ihn schreiben. Sie kann das sicher am besten. Das glaube ich auch. Machst du es, Eva? Eva wurde rot vor Freude. Gern, sagte sie. Aber vielleicht sollten lieber mehrere zusammen den Entwurf machen. Ich mach mit, sagte Franziska. Und Susanne sollte auch dabei sein. Und Anna. O. K. Wo treffen wir uns? Um vier bei mir. Seid ihr einverstanden? Franziska sah richtig froh aus. Das ist etwas nach meinem Herzen, sagte sie. Eva pfiff laut vor sich hin auf dem Heimweg. Einer alten Frau, die sie erstaunt ansah, lachte sie frhlich zu. Ich habe was vor, dachte sie. Ich habe was vor. Heute um vier bei Franziska. Und niemand wird mssen! Niemand, auch ich nicht! Abends im Bett konnte Eva lange nicht einschlafen. Was fr ein Tag war das gewesen! Aufregend, ganz anders als die anderen Tage. Erst die Diskussion in der Schule. Die anderen hatten mit ihr geredet, als wre das vllig normal, als htte sie nie abseits gestanden, 136 sie hatten nicht nur mit ihr geredet, sie hatten sogar auf sie gehrt. Das ist eine gute Idee, Eva, hatte Susanne gesagt. Und Karola hatte gesagt: Eva soll den Brief schreiben, sie kann das am besten. Eva trat noch einmal ans Fenster und schaute in die Dunkelheit. Franziska wohnte gar nicht so weit weg, vielleicht zehn Minuten. In einem schnen, alten Haus wohnte sie. Eva war erst sehr verlegen gewesen, sehr still. Als aber dann Susanne und Anna gekommen waren, war es ganz leicht gewesen. Zu viert hatten sie um den Tisch gesessen und geredet und gelacht und geschrieben und keiner hatte gesagt: Die Eva soll gehen. Wir wollen die Eva nicht. Im Gegenteil. Sie waren fast eine Clique gewesen, so wie Karola, Lena, Babsi, Tine und Sabine Mller. Schn war das gewesen. Mensch, Eva, hatte Susanne gesagt. Ich habe immer gedacht, du interessierst dich berhaupt nicht fr uns. Du bist dir zu gut fr uns, habe ich gedacht. Eva lachte den Nachthimmel an. Ich gehre dazu, sagte sie laut. Ich gehre genauso dazu wie die anderen auch. Ich werde in der Klasse bleiben, bei Franziska und Susanne und Anna. Und bei Karola. Warum sollte ich gehen? Ich gehre doch dazu. Es war sehr dunkel drauen. Dort, irgendwo, nur zehn Minuten entfernt, schlief Franziska. Eva ging zurck zu ihrem Bett. 137 17 Eva betrat den Hauptbahnhof durch den Seiteneingang. Sie wollte nicht gesehen werden. Dabei wusste sie, dass noch niemand sie sehen konnte, es war noch viel zu frh. Erst in ber einer Stunde wrde der Zug abfahren, genau in einer Stunde, zwlf Minuten und -sie schaute auf die Uhr - siebenundzwanzig Sekunden. Ein Ruck des Zeigers, sechsundzwanzig Sekunden, noch ein Ruck, fnfundzwanzig Sekunden. Lrm, Schreien, Quietschen, Stimmen, berall Stimmen, berall Menschen. Und dann der Geruch. Bahnhofsgeruch. Schwler Metallgeruch, Schmutz. Schnellimbiss: Bratwurst vom Grill, Pommes frites. Heies l stinkt. Ein Mann, leicht schwankend, mit den Hnden Halt suchend am einbeinigen Tisch des Stehausschanks, rief ihr zu: Willst du was, Kleine? Eva ging schnell vorbei, versuchte, flach und kurz zu atmen, den suerlichen Geruch nach Schwei und Bier nicht in sich eindringen zu lassen. Sie blieb vor der groen Anzeigetafel Abfahrt stehen und suchte mit den Augen die Reihen ab. Da war der Zug. Vierzehn Uhr sechzehn Abfahrt Mnchen, zweiundzwan- 138 zig Uhr fnfundzwanzig Ankunft Hamburg, Abfahrt Gleis fnfundzwanzig. Eine Frau ging an Eva vorbei, eine schne Frau, sehr gro, sehr schlank. Sie roch nach Maiglckchen. Oder Veilchen? Wie rochen Maiglckchen, wie Veilchen? Eva konnte sich nicht erinnern. Sie fhlte sich unfrmig und schweiig. Warum hatte sie auch die hellrote Bluse angezogen! Hellrot wie eine noch nicht ausgereifte Tomate, die, viel zu frh gepflckt, nicht mehr nachreifen wrde. Eine, die verfaulen wrde, ohne rot geworden zu sein. Auerdem sah man an dieser Bluse jeden Schweifleck. Sie brauchte gar nicht hinzuschauen, sie wusste, wie die Flecken aussahen unter ihren Achseln, dunkel, mit hellzackigen Rndern. Sie winkelte die Arme leicht an, ganz leicht nur, so leicht, dass man es nicht sehen konnte, aber doch weit genug, dass Luft an ihre Achselhhlen gelangte. Vielleicht wrde der Schwei trocknen. Wenn es nur nicht so schwl wre. Dicke schwitzen eben viel mehr als Dnne. Der Krach war wirklich schlimm. Eva hasste Lrm, der sich aufdrngte, dem man nicht entweichen konnte. Seine Ohren schlieen kann keiner. Geruschen ist man ausgeliefert. Noch eine Stunde und drei Minuten. Ein Schweitropfen rann ihr ber die Schlfe, seitlich an ihrer Backe herunter, und fiel auf ihre Hand, die sie ausgestreckt hatte, um ihn abzuwischen. 139 Wann wrden sie kommen? Wrden sie alle da sein, Vater, Mutter und acht Kinder? Nein, acht konnten es nicht sein, Frank war noch im Krankenhaus. Es wird doch noch ein bisschen lnger dauern, hatte Michel gesagt, gestern, als sie sich voneinander verabschiedet hatten. Ein Kettchen hatte sie ihm geschenkt zum Abschied, ein dnnes Silberkettchen mit einem >M< dran. Ein >E< htte es sein mssen, hatte Michel gesagt. Ein >E< wie Eva. Warum ist es kein >EMichel< heien wrde. Du wirst andere Mdchen kennen lernen, hatte sie gesagt. Viele Mdchen wirst du kennen lernen in Hamburg. Du hast so schne Haare, hatte Michel gesagt und sein Gesicht in ihren Haaren vergraben. Sein Atem war warm gewesen. Eva betrat das Bahnhofsrestaurant, setzte sich an einen Tisch, von dem aus sie das Gleis fnfundzwanzig 140 beobachten konnte. Ein Glas Cola hat 80 Kalorien. Sie bestellte ein Selterswasser. Michel rlpste immer ganz laut, wenn er berkinger trank. Wann er wiederkommen wrde? Das wusste er nicht. Er wusste auch nicht, wann er seine erste Fahrt antreten wrde. Das macht alles der Onkel. Warten Sie auch auf jemanden?, fragte eine alte Frau, die sich zu Eva an den Tisch setzte. Eva zgerte, schttelte dann den Kopf. Nein, nicht eigentlich, sagte sie. Die Frau hielt ihre Handtasche auf dem Scho. Man kann nicht vorsichtig genug sein, sagte sie, als sie Evas Blick bemerkte. Man liest das immer wieder in der Zeitung. Die Bedienung kam. Ein Knnchen Kaffee Hag und ein Stck Ksesahne, bestellte die Frau und fuhr, zu Eva gewandt, fort: Ich warte nmlich auf meine Tochter. Sie kommt fr ein paar Tage zu mir, bevor sie in Urlaub fhrt. Eva nickte. Was sollte sie sonst auch tun? Sie rgerte sich. Sie wre lieber allein gewesen. Immer noch achtunddreiig Minuten. Der Zug stand schon da. Ich lebe nmlich allein hier, sagte die alte Frau. Ihre Stimme klang so klglich, dass Eva sie erstaunt ansah. Seit mein Mann tot ist. Sie wischte sich mit der Serviette ber die Augen. Eva tat ihr rger von vorhin Leid. So ist das, sagte die Frau und rhrte mit dem Lffelchen im Kaffee. Wenn man alt wird, ist man allein. Wo wohnt Ihre Tochter denn?, fragte Eva und winkte der Bedienung. In Frankfurt, sagte die Frau. Das ist natrlich ganz schn weit weg. Eva suchte ein Zweimarkstck zum Bezahlen. Auf Wiedersehn. Hoffentlich kommt Ihre Tochter bald. Sie kaufte sich eine Sddeutsche Zeitung und suchte einen Platz, von dem aus sie den Bahnsteig beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Dreizehn Uhr fnfundfnfzig. Sie kamen. Eva trat noch einen Schritt zurck hinter den Zeitungsstand und hielt die Zeitung halb vor das Gesicht. Michel trug eine dunkle Hose und ein weies Hemd. Er schleppte einen groen, brunlichen Pappkoffer. Der Vater trug noch eine Reisetasche. Eva betrachtete alle neugierig. Der Vater war nicht gro, mager und dunkel, mit einem groen Schnauzbart und mittellangen Haaren. Er sieht nett aus, dachte Eva. Ein bisschen angeberisch mit dem Anzug und der roten Fliege, aber nett. Die Mutter trug ein Kind auf dem Arm, ein blondes, vielleicht zwei Jahre alt. Zwei andere Kinder, zwei Buben, rannten aufgeregt auf dem Bahnsteig hin und her. Ilona, schwer, langsam, in demselben Kleid, das sie auf 142 dem Fest getragen hatte, nahm der Mutter das kleine Kind ab. Michel sah ganz anders aus, so mitten in seiner Familie. Jnger sah er aus, kindlicher. Der Vater hob den Koffer und die Reisetasche in den Zug. Die Mutter umarmte Michel. Sie war gro und krftig, dick konnte man sagen, und Michel verschwand fast in ihren Armen. Das kleine Kind fing an zu weinen und die Mutter nahm es wieder. Ilona strich ihrem Bruder mit der Hand ber das Gesicht. Wieder war Eva erstaunt ber die Innigkeit in den Bewegungen dieses Mdchens. Ein Gefhl von Eifersucht stieg in ihr hoch. Wie kommt die dazu, ihn so zu berhren?, dachte sie. Nur ich sollte das drfen. Aber gleichzeitig wusste sie, dass sie das nicht konnte. Nicht bei Michel. Eva hatte die Zeitung schon lange sinken lassen. Michel schaute nicht herber. Er umarmte Ilona und streichelte ihren Kopf. Seine Mutter, das kleine Kind auf dem Arm, wischte sich mit der anderen Hand ber die Augen. Michel war ganz eingeschlossen in Berhrungen, Blicken und Worten. Eine richtige Familie, dachte Eva. Sie gehen sehr lieb miteinander um. Bei uns wrde zum Beispiel nie so viel geksst. Wann hatte sie eigentlich Berthold das letzte Mal geksst? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie wusste noch nicht einmal, ob Berthold das mgen wrde. 143 Die beiden Buben kamen zurck von der anderen Seite des Bahnsteigs. Sie hatten einen Gepckwagen erwischt. Einer schob, der andere sa darauf. Sie lachten und winkten und drngten sich zwischen den Leuten hindurch. Einer sah ein bisschen aus wie Michel, ein ausgelassenes, frohes Gesicht. Der Bahnsteig war voll geworden. berall standen Leute herum, die sich verabschiedeten. Vierzehn Uhr zehn war es inzwischen. Noch sechs Minuten. Ach Michel. Eva war traurig. Ich htte dich lieben knnen, wenn ...! Wenn was ? Sie drehte sich um und ging. Ein bisschen steif waren ihre Beine und ihre Augen brannten, aber sie drehte sich nicht mehr um. Michel wrde ihr schreiben, sicher, und sie wrde ihm antworten. Es war noch nicht vorbei. Noch nicht. Am Bahnhofsplatz war ein Cafe. Eva ging hinein, setzte sich an einen freien Tisch und bestellte eine Tasse Kaffee und ein Stck Kuchen. Ksesahne. 144 18 Was fr ein Tag! So viele Tage gab es in Evas Leben, die langsam vergingen, trge, zh, mit Minuten, die sich mhsam-mde aneinander reihten, bis endlich wieder eine Stunde um war, so viele Tage, an denen nichts passierte, an denen die Welt stillzustehen schien oder besser: in einer klebrigen, durchsichtigen Masse zu ersticken drohte, Tage, an denen Eva sich langsam bewegte, nicht merkte, dass sie sich bewegte, Tage, an denen nichts, berhaupt nichts passierte auer dem blichen Trott, kein Glanzlicht, kein heller Tupfer auf dem grauen Einerlei, kein Blick, kein Lcheln, keine flchtigen Worte und keine Berhrung. Und dann kam ein Tag wie dieser. Es war noch nicht einmal so, dass das Wetter besonders schn gewesen wre. Eigentlich war es eher trist, wolkenverhangen, aber als Eva morgens aus ihrem Fenster schaute, hinein in diesen grauen Morgen, sprte sie schon das Kribbeln auf der Haut, die Sommermorgenkhle, frische, kalte Luft, und sie atmete tief durch. Der Huserblock gegenber, der, in dem die Grabers wohnten, die Grabers mit der >guten Tochter<, verschwand fast im Grau des Himmels. Himmel und 145 Haus hatten die gleiche Farbe, die Konsistenz war natrlich anders, aber Eva musste zweimal hinschauen, um das zu sehen. Es war ein seltsames Grau, ein weiches, wattiges, einhllendes. Eva stand lange am Fenster und schaute hinaus. Dann, beim Frhstck, zog der Vater sein Portemonnaie und hielt Eva einen Hunderter hin. Hier, sagte er. Kauf dir was Schnes, das ist zustzlich zum Taschengeld, weil es doch dieses Jahr nichts wird mit dem Urlaub. Berthold schaute von seinem Teller hoch. Du kriegst auch etwas, sagte der Vater, morgen, wenn du zu Tante Irmgard fhrst. Berthold nickte und bestrich sein Brot mit Kalbsleberwurst. Natrlich bekommst du keine hundert Mark. Du bist ja erst zehn. Bei Eva ist das schon etwas anderes. Ja, sagte Berthold. Eva nahm den Hunderter und legte ihn unter ihren Teller. Danke, Papa. Was kaufst du dir?, fragte die Mutter. Ich wei noch nicht, antwortete Eva. Ich gehe heute in die Stadt. Vielleicht sehe ich was, das ich will. Sie rumte ihr Zimmer auf, ordnete ihre Platten, als ihre Mutter hereinkam. Post fr dich, Eva. Sie hielt ihr eine Postkarte hin und blieb neugierig stehen. Eva nahm die Karte, legte sie auf ihren Schreibtisch 146 und stellte die Beatles-Platten nebeneinander in den Stnder. Na ja, dann nicht, sagte die Mutter und ging zurck in die Kche. Eva nahm die Karte und drehte sie um. In sauberer, kindlicher Schrift stand da: Meine liebe Eva! Hamburg ist wunderschn. Ich bin gerade erst angekommen. Schade, dass du nicht da bist. Ich schreibe dir bald. Dein Michel. Eva lachte. Viel war das nicht, aber sie freute sich, dass er sofort an sie gedacht hatte. Laut singend machte sie ihr Zimmer fertig. Mama, ich hole mir einen Blumenstrau. Soll ich dir etwas mitbringen? Zwei Liter Milch und ein Pfund Salz. Und sechs pfel. Ich will Milchreis machen. Eva whlte einen Strau Wiesenblumen fr eine Mark achtzig. Ich fahre nchste Woche mal mit der S-Bahn in irgendein Dorf und dort werde ich spazieren gehen, nahm sie sich vor. Sie sah die Wiese, eine Hangwiese wrde es sein, in der Sonne, voller Blumen. Richtig bunt wrde die Wiese sein. Sie wrde sich mitten hineinlegen und in den blauen Himmel schauen. Bienen wrden ber sie hinwegfliegen und im nahen Wald wrde ein Kuckuck rufen. Kuckuck, Kuckuck, sag mir doch, wie viel Jahre leb ich noch? Eins, zwei, drei, vier ... Eier und Schmalz, Butter und Salz, Milch und Mehl, 147 Safran macht den Kuchen gel, sang sie, als sie die Treppe hinaufstieg. Die Mutter fuhr mit Berthold zum Kaufhof. Er brauchte noch Unterhosen und neue Gummistiefel, wenn er morgen zu Tante Irmgard fuhr. Eva setzte Teewasser auf und goss die Blumen im Wohnzimmer. Da klingelte es. Eva drckte auf den Trffner und hrte, wie unten die Haustr mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Ich bin's, sagte Franziska. Mir war langweilig zu Hause. Komm rein. Und dann sa Franziska, brunlich in der hellen Hose und dem hellblauen Hemd, in Evas Zimmer. Sie sa auf dem Bett und lehnte sich mit dem Rcken an die Wand, die Beine hatte sie weit von sich gestreckt. Wie eine Katze liegt sie da, so entspannt, dachte Eva. Richtig schn. Hast du Lust, Mathe zu machen?, fragte sie. Franziska schttelte den Kopf. Heute nicht, morgen. Was fr ein Tag. Wann hatte sie einmal Besuch gehabt in ihrem Zimmer? Nie? Wirklich nie? Ich bin froh, dass du gekommen bist. Franziska lachte und streckte sich. Mach doch mal Musik an! Eva legte eine Kassette ein. Bei dir ist es richtig gemtlich. Aufgerumt. 148 Eva dachte an Franziskas Zimmer, an den groen Raum in der Altbauwohnung, mit hoher Stuckdecke und schnen, alten Mbeln. Die ganze Wohnung war so, schn, aber unordentlich war sie auch. Eure Wohnung gefllt mir viel besser. Mir nicht. So ein Zimmer, wie du es hast, klein, gemtlich, das ist viel schner. Hast du schon mal in einem Altbau geschlafen? Nein? Dann musst du bald mal bei mir bernachten. berall knistert und knarzt es in der Nacht. Das ist richtig unheimlich. Ich habe immer Angst davor, nachts aufzuwachen. Du musst bald mal bei mir bernachten, hatte sie gesagt. Eva hatte noch nie bei einer Freundin bernachtet. Ich hatte frher, als Kind, oft Angst nachts, erzhlte sie. Ich stellte mir vor, was alles passieren knnte. Einbrecher knnten kommen, Mrder, oder das Haus knnte in Brand geraten. Dabei ist in Wirklichkeit nie etwas passiert. Das kenn ich, sagte Franziska. Ich bin dann immer zu meiner Mutter ins Bett gestiegen. Leider bin ich jetzt schon zu gro dafr. Ich habe gern bei meiner Mutter geschlafen. Ich habe nie bei meiner Mutter geschlafen, sagte Eva. Aber wenn ich geweint habe, ist sie immer gekommen und hat mich getrstet. Heie Milch mit Honig und ein Butterbrot. Oder ein paar Kekse. Und wenn es gar zu schlimm war, gab 149 es eine Tafel Schokolade. Verdammt, immer war es Essen gewesen. Essen ist gut, Essen vertreibt jeden Kummer! Eva stand auf und ging zum Kassettenrecorder. Sie zog den Bauch ein beim Gehen. Die andere Seite?, fragte sie. Ja, bitte. Eva drehte die Kassette um. Ich muss mir die Haare waschen, dachte sie. Unbedingt muss ich mir heute Abend die Haare waschen. Ich fand das toll, wie du das mit dem Brief an das Direktorat gemacht hast, sagte Franziska. Ich habe dich das erste Mal richtig reden hren, morgens in der Schule und dann nachmittags bei uns zu Hause. Sonst sagst du ja kaum was. Man muss dir die Wrter fast einzeln aus der Nase ziehen. Eva, verlegen, zog ihren Rock ber die Knie. Ich bin halt kein groer Redner. Aber du kannst das, sagte Franziska. Wieso bist du nicht Klassensprecherin geworden? Eva, getroffen von dieser pltzlichen Aufwertung, wandte sich ab. Antwortlos, sprachlos holte sie den Tee aus der Kche. Eva stand vor ihrem Bcherregal. Hinter den anderen Bchern steckte, in Querlage und gut getarnt, das Ditbuch. Es war nicht leicht gewesen, ein sicheres Versteck zu finden. 150 Eva dachte an die Situation in der Buchhandlung, an ihren heimlichen Ditversuch, an all die Verzweiflung, die niemand merken durfte, und zgerte. Doch dann nahm sie das Buch heraus und ging schnell in die Kche. Ihre Mutter sa am Tisch und las die Zeitung. Mama, sagte Eva und legte das Buch auf den Tisch. Kannst du nicht fr mich mal anders kochen? Ich wrde gern ein bisschen abnehmen, wenn es geht. Die Mutter schaute erstaunt auf. Wieso? Hat dein Freund etwas gesagt? Eva schttelte den Kopf. Nein, nicht deswegen. Aber ich finde mich zu dick. Aber du siehst doch gut aus, sagte die Mutter. Und dass du so schwer bist, das hast du vom Papa. Und vom Essen. Eva wollte das Buch schon wieder nehmen, es wre einfacher gewesen und es ging ihr nicht mehr wirklich um die Dit, doch sie dachte an die Heimlichkeiten, an die verborgene Scham, und redete weiter: Ich glaube ja auch nicht, dass ich dnn werde. Aber ausprobieren mchte ich es gern und ich will es nicht heimlich tun. Ich will nicht mehr heimlich essen und nicht mehr heimlich hungern. Nein, hungern will ich berhaupt nicht mehr. Aber wir knnten doch mal probieren, ein bisschen anders zu essen. Die Mutter nahm neugierig das Buch und bltterte darin herum. Natrlich, sagte sie. Natrlich kann ich dir so etwas kochen. Weit du was? Ich mache auch mit. Schaden kann es mir nicht. Und dem Papa 151 erst recht nicht. Und jetzt in den Ferien knnen wir das wirklich machen. Die Mutter war ganz begeistert. Schau mal, da das Mittagessen: Fischfilet Neptun mit Grilltomaten. Das hrt sich doch prima an. Soll ich das heute machen? Und zum Nachtisch Eis? Ja, sagte Eva. Soll ich fr dich einkaufen? Wir knnten zusammen gehen. Magst du, dass wir zusammen gehen? Eva nickte. Gern. Wir gehen zusammen einkaufen und dann kochen wir zusammen. Und wenn es dem Papa nicht schmeckt, dann schicken wir ihn ins Restaurant. Eva lachte. Traust du dich das? Die Mutter zuckte mit den Schultern. Vielleicht nicht. Aber ich werde fr dich das kochen, was du willst. Bestimmt. Eva legte ihrer Mutter die Arme um den Hals und ksste sie. Eva, sagte die Mutter, ach, Eva. Du sollst es besser machen als ich. Du sollst gescheiter sein. 152 19 Eva und Franziska hatten gelernt und dann gingen sie in die Stadt. Soll ich mit dir gehen?, hatte Franziska gefragt, als sie von dem Hundertmarkschein gehrt hatte. Komm, lass mich mitgehen. Ich gehe gern einkaufen. Ich wei aber noch gar nicht, was ich will, hatte Eva zgernd geantwortet. Wie wrde das sein, anprobieren, wenn Franziska dabei war? Einkaufen mit der Mutter, das war etwas anderes. Die Mutter kannte Eva, schaute nicht auf den dicken Busen, wusste um die Gre ihres Hinterns. Franziska, hatte sie vielleicht noch gar nicht gemerkt, wie dick Eva war? Wrde es ihr auffallen, wenn Eva Hosen probierte? Jeans wollte sie kaufen. Aber vielleicht sollte sie doch lieber Bcher nehmen? Eigentlich wollte sie eine Hose und eine Bluse. Sie hatte schon lange keine Hose mehr gehabt. Hosen will ich nicht nhen, hatte die Schmidhuber gesagt. Das lohnt sich nicht. Hosen muss man kaufen. Eva, dir passen sowieso keine. Nimm lieber ein Kleid, war die Meinung der Mutter. Ein Faltenrock, oben eng, dann mit Springfalten, das ist gnstig fr dich. Und mglichst dunkel. Helle Farben tragen auf. 153 Eva, aus Angst vor dem Gelchter, aus Angst vor dem Probieren, aus Angst vor der Erfahrung, dass ihr wirklich nichts passen wrde, hatte genickt und wieder einen neuen Rock bekommen. Fr mich ist es schwer, etwas zu finden, sagte sie zu Franziska. Macht nichts. Ich habe Geduld, viel Geduld. Meine Mutter ist auch schwierig, aber sie mag es, wenn ich mitgehe. Sie sagt, ich knnte gut beraten. Vielleicht kaufe ich aber auch Bcher. Fr hundert Mark? Sie fuhren mit der Straenbahn in die Stadt. Franziska wusste einen kleinen Laden, einen ganz guten, sagte sie, dort wrden sie bestimmt etwas finden. Was fr eine Gre hast du?, fragte Eva in das Rattern der Straenbahn hinein. Ich meine, in inch. Neunundzwanzig oder achtundzwanzig, das kommt auf die Firma an. Ich habe vierunddreiig oder sechsunddreiig, sagte Eva. Was hast du gesagt? Drauen auf der Strae hmmerte ein Pressluftbohrer, bohrte Lcher in den Asphalt, riss breite Rinnen in die Strae. berall diese Baustellen, sagte Franziska. Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr. Einmal war Eva in einen Jeans-Laden gegangen, hatte aufgeregt und beschmt probiert. 154 Wenn Ihnen vierunddreiig inch zu klein ist, probieren Sie doch mal sechsunddreiig inch. Die Verkuferin hatte mit einer zweiten Verkuferin geredet. Eva, in der Kabine, hatte sie nicht verstehen knnen, so leise hatten sie geredet. Sie hatte nicht gewusst, worber sie lachten. Eva hatte in der Kabine gestanden, einen orangefarbenen Vorhang im Rcken, vor dem Spiegel hatte sie gestanden und versucht, die Jeans zuzukriegen, und drauen das Lachen der Verkuferin, der sicher die Gre neunundzwanzig passte, einer, die nicht vierunddreiig oder sechsunddreiig probieren musste. Neunundzwanzig inch. Wenn Eva das jemals erreichen knnte! Sie hatte in der Kabine gestanden, Orange war wirklich keine Farbe fr sie, wem stand berhaupt Orange, und hatte mit vor Anstrengung gertetem Gesicht versucht, den Reiverschluss zu schlieen. Es ging nicht. Er klemmte. Aber sie wagte nicht, die Verkuferin zu rufen, die mit der Gre neunundzwanzig, vielleicht hatte sie sogar acht-undzwanzig, um sie zu bitten, ihr zu helfen beim Schlieen. Dann war sie zur Kasse gegangen, hatte die Jeans, die vierunddreiiger, auf die Theke gelegt und gesagt: Ich nehme die. Sie hatte bezahlt und war gegangen. Warum hatte sie das gemacht? Neunundsechzig Mark fr nichts, fr eine Hose, die ihr zu eng war, die sie nie anziehen konnte, nur weil sie sich schmte zu sagen: Sie passt mir nicht. 155 Wie wrde es mit Franziska sein? Der Laden war wirklich ziemlich klein. Eva wre lieber in einen greren gegangen, in einen, in dem sie nicht so aufgefallen wre, eine Kundin unter vielen, nicht jemand, den man besonders beachtet. Aber Franziska schien sich hier wohl zu fhlen. Hier habe ich schon oft eingekauft, sagte sie. Hier kauf ich gern. Die haben tolle Sachen. Das Hemd hier gefllt mir, sagte Eva. Das Hemd war rosa. Kauf es dir doch. Ich mchte eine Jeans, eine blaue, sagte Eva zu der Verkuferin. Und sie dachte: So eine helle Hose wrde mir viel besser gefallen. So eine ganz helle. Und dazu das rosa Hemd! Schade. Sie stand in der Kabine und bemhte sich verzweifelt, den Reiverschluss zuzumachen. Es ging nicht. Na, was ist?, fragte Franziska von drauen. Zu klein. Franziska brachte die nchste Hose. Noch eine. Sie hob den Vorhang zur Seite und kam herein. Hier, probier mal. Aber die ist viel zu hell, sagte Eva. So helle Farben machen mich doch nur noch dicker. Ach was. Helle Farben stehen dir sicher viel besser als das ewige Dunkelblau oder Braun. Eva wagte nicht zu widersprechen. Sie hoffte, Franziska wrde hinausgehen, wrde nicht zusehen, wie 156 Eva sich in die Hose quetschen musste. Aber Franziska ging nicht. Sie blieb auf dem Hocker sitzen und schaute zu. Die Farbe der Hose passt zu deinen Haaren, sagte sie. Genierst du dich nicht mit mir?, fragte Eva. Wieso? Weil ich so dick bin. Du spinnst, sagte Franziska. Wieso soll ich mich da genieren? Es gibt halt Dnne und Dicke, na und? Der Reiverschluss ging zu, ein bisschen schwer, aber er ging. So muss es sein, sagte Franziska. Wenn du sie weiter nimmst, hngt sie morgen schon wie ein Sack an dir. Die Farbe der Hose passte wirklich gut zu ihren Haaren. Sie war so hell wie ihre Haare am Stirnansatz. Franziska kam mit dem rosafarbenen Hemd zurck. Hier, zieh an. Dann stand Eva vor dem Spiegel, erstaunt, verblfft, dass sie so aussehen konnte, so ganz anders als im blauen Faltenrock. Ganz anders als in den unaufflligen Blusen. berhaupt ganz anders. Schn ist das, sagte Franziska zufrieden. Ganz toll. Die Farben sind genau richtig fr dich. Dunkle Farben strecken, helle tragen auf. Ich bin zu dick fr so etwas. Findest du nicht, dass ich zu dick bin fr solche Sachen? 157 Finde ich nicht, sagte Franziska. Mir gefllst du so. Und was soll's! Im dunklen Faltenrock bist du auch nicht dnner. So bist du nun mal. Und du siehst wirklich gut aus. Schau nur! Und Eva schaute: Sie sah ein dickes Mdchen, mit dickem Busen, dickem Bauch und dicken Beinen. Aber sie sah wirklich nicht schlecht aus, ein bisschen auffllig, das schon, aber nicht schlecht. Sie war dick. Aber es musste doch auch schne Dicke geben. Und was war das berhaupt: schn? Waren nur die Mdchen schn, die so aussahen wie die auf den Fotos einer Modezeitschrift? Worte fielen ihr ein wie langbeinig, schlank, rassig, schmal, zierlich. Sie musste lachen, als sie an die Frauen auf den Bildern alter Meister dachte, voll, ppig, schwer. Eva lachte. Sie lachte das Mdchen im Spiegel an. Und da geschah es. Das Fett schmolz zwar nicht, es war ganz anders, als sie erwartet hatte, dass es sein wrde, kein stinkender Fettbach floss in den Rinnstein, eigentlich geschah nichts Sichtbares, und trotzdem war sie pltzlich die Eva, die sie sein wollte. Sie lachte, sie konnte nicht mehr aufhren zu lachen, lachte in Franziskas erstauntes Gesicht hinein und sagte, whrend ihr das Lachen fast die Stimme nahm: Wie ein Sommertag sehe ich aus. So sehe ich aus. Wie ein Sommertag.   T    H I   K L ^ _ w x ) * P Q ܹ譥hmw9mH sH hmw9B*mH phsH hmw9>*B*mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHhmw96B*]mHphsH=  I vb$d;-DM ^a$$ d;-DM ^ a$$d;-DM a$$d{-DM ^a$6d{-DM ^`6 -DM ]-DM ^$d@-DM a$%-DM ^%   L _ x * o[$>d;-DM ^>a$$5d;-DM ^5a$$:d;-DM ^:a$$0d;-DM ^0a$$+d; -DM ^+a$$d;-DM ^a$$d;-DM ^a$$ d;-DM ^ a$ * Q ilP$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ^a$$C-DM ]Ca$$:d;-DM ^:a$$5d;-DM ^5a$$>d;-DM ^>a$$Cd;-DM ^Ca$ hi  MN./pq)*yz - . s t ٽ٧hmw96B*]mHphsH hy_hmw9hy_B*phhmw9mH sH hmw9B*mH phsH hmw9B*mHphsHhmw9mHsH#hmw9B*OJQJ^JmHphsHB Nf$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$d-DM ]`a$$"d-DM ]"a$d-DM ^ N/qr^$d-DM ^a$"-DM ^$0d-DM ^0`a$$d-DM ]^`a$$"d-DM ]^"`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$*z ~ffP$d&-DM ]a$$d-DM ]`a$$d -DM ^`a$$d-DM ^`a$d-DM ^$d -DM ]^`a$$d -DM ]^`a$. t !""@"q[qqq$d-DM `a$ d-DM ^ $d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^ !!!""""?"@"3#4#####$$$$$$$$4%6%7%9%%%&&7&8&d&e&})~)(****+++`+a+c.d.+/./0/2/4/6/8///11F2G2v4w444;5<5z9}99ܾܾhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsH#hmw9B*OJQJ^JmHphsHhmw9mHsHhmw96B*]mHphsHhmw9B*mHphsHC@"4###$$$$5%6%8%9%|ll -DM ^ $d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$ 9%%&8&e&~))*++rX$d -DM ]`a$$d-DM ]`a$$d-DM `a$d-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$++a+d.,/-///0/3/7/8//1m$d-DM `a$$d -DM ^a$ -DM -DM $ d-DM ] ^`a$$d*-DM ^a$$d-DM ]^`a$ 1G2w44<5{9|9~999999||l @-DM ^  -DM -DM $d-DM `a$$d-DM ]a$d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$ 9999999::;;;;<<<<====>>>>??j?k?????AAHAIAAAKBLByB|B~BBBBBTCUCCCCC DDrDsD(E)E^E_EEEFF6F⸩hmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsH#hmw9B*OJQJ^JmHphsHhmw9mHsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHB99:;;<<=w]$ d-DM ] `a$$ d-DM ] `a$d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ^ a$$0-DM ]0a$==>>?k???q^d-DM ^$ d-DM ]^ `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ a$?AIAALBzB{B}B~BBBB~~thh >-DM -DM Fd-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$ BUCCCDsD)E_EjR$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$ d-DM ] `a$$ d-DM ] ^`a$$dC-DM ]^a$_EEF7FFFMGGGG~j$d-DM ]a$$ d-DM ] `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ]`a$d-DM ^ 6F7FFFFFLGNGGGGGGGUHVH J JqLrLLLLLLLLMMNQOQWRYRRRR/SSSDVEVVVqWtWvWxWzW|W~WWWXX=X>XXXYYZZ\Zhmw9B*mH phsH )hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsH *hUhmw9B*mHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsH>GVH JrLLLLLLLLMt$d-DM a$ -DM H-DM Kd-DM ^$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$ MOQXRRSEVVrWsWuWvWw__[[$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$$d-DM `a$$d-DM ]`a$$d-DM ]a$$d-DM ^`a$$d-DM `a$ vWyW}W~WWX>XXYZpT$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] `a$d-DM ^ -DM -DM Z]Z\K\E]]^^z^$"d-DM ]^"`a$$ d-DM ` a$$+d-DM ^+`a$$+d-DM ^+a$d-DM ^$d-DM `a$$ d-DM ] ^`a$\Z]Z\\J\L\D]E]]]^6^^^^^X_Y___`````````bbqcrcccddddeecedeeeDfEf|f}fffpgqggggg(i)i]i^iiijiiiiѼ#hmw9B*OJQJ^JmHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw96B*]mH phsH hmw9B*mHphsHhmw9mHsHA^Y__````````b{$d-DM ]a$$0-DM ]0a$ -DM $ d-DM ] ^`a$d-DM ^$d -DM ]^`a$ brccddedeeEfjN$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$Ef}ffqggg)i^ijiiiiiookk$ d-DM ] `a$d-DM ^d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^ iiiiijjjj:k;kkkAlBlll`mammm~nnnnnnnn o ooo@oAo}o~oooooLpMppprrrrrrrrrrrrsssss"t#ttttu#u$uLuMuuuuл)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHhmw95B*\mHphsHJiiiijj;kkBllnP$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^ -DM -DM lammnnnn ooAosbbOd-DM ^d-DM ^d-DM ^d5-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM `a$$ d-DM ] ^`a$ Ao~oooMpprrrrrl[d-DM ^$ d-DM ]^ `a$$d-DM ^`a$$ d-DM ^ `a$$ d-DM ] `a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$ rrrrssss#ttuf$ d-DM ]^ `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d5-DM ]`a$ 0-DM -DM Z u$uMuuuuw=xxb$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]^a$$ d-DM ^ `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^uuuuww-DM P$ d-DM ] `a$$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$ }};lmopswx}i$d-DM `a$$ d-DM ] a$ -DM -DM d-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ]a$$++-DM ]+a$ \VGk$d-DM ^a$ -DM -DM $ d-DM ]^ `a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM `a$$d-DM ]^a$ k˔ #eeaaW -DM $ d-DM ]^ `a$$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$ jkʔ˔ "$&()*<=^_/034 FG <=CFHJNPR:;rs[]OP¤ä#hmw9B*OJQJ^JmHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHI#'(*=_04tX$ d-DM ]^ `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM `a$d-DM ^$d-DM ]^a$$0 -DM ]0a$ -DM G =DEGHKMwwssii -DM  &-DM $d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ^a$$d -DM ^a$ MQR;s\t\$d-DM ^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$  d-DM ] ^ `a$$ d-DM ]^ `a$$d&-DM ]`a$ -DM \Pä8wfUfd-DM ^d-DM ^d-DM ^$d=-DM ]^a$$ "d-DM ] ^"`a$$&d-DM ^&`a$d-DM ^-DM ^ 78klhimnij'(JK{~=>ŲDz)*ab(+-/135mnܺݺ߻߻)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHG8liy$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ]^ a$ -DM R-DM r$+d-DM ]+`a$$0d-DM ]0^`a$ nj(~h$d-DM ^a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^`a$(K|}>s$ d-DM ]^ `a$$d-DM ^a$$C-DM ]a$ -DM -DM d-DM ^$d-DM ]`a$ Ʋ*b)*,-0{ggccW 0-DM h$d-DM `a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]a$$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$ 045nݺrad-DM ^d-DM ^d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$+d}-DM ]+a$ -DM ûĻ '(MNtuBC ruwy{}GH-. gh˶׶)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHhmw9mH sH hmw9B*mH phsH HĻ (NumZd-DM ^$d-DM ^`a$d -DM ^$  d-DM ] ^ a$$d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^d-DM ^ uC stvwz~~~zzndd -DM -DM 8$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$d-DM ^ Hx^$d-DM ^`a$$"d-DM ^"a$$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$"d-DM ]"`a$$0d-DM ]0a$. |kO$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ] `a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$"d-DM ^"`a$hVNl$d-DM ]^`a$$d -DM ^`a$$d-DM ^a$ -DM -DM d-DM ^$d-DM ]^`a$ UVMNcd9:ik'(klqr%&NOVW`a,-,-qrʻhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHJd:jraK$`d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$$ d-DM ] `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$(lrwY$>d-DM ]>^`a$$5+d+-DM ]5^+`a$$+5d5-DM ]+^5`a$*R-DM ^*$">d:-DM ]"^>`a$$ Hd-DM ] ^H`a$r&Oxd-DM ^d-DM ^ s-DM -DM  d-DM ^$[d-DM ][`a$$Vd-DM ]V^`a$ OWa--rg$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ] `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^d-DM ^ [\?AQRmnQRWXGH%&+,;<NO#hmw9B*OJQJ^JmHphsHhmw95B*\mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHC \@Rnw]$d -DM ^`a$d -DM ^$d-DM ^a$$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ]^ `a$RXlYHd-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$&-DM ^$d -DM ]^`a$$  d -DM ] ^ `a$d-DM ^Hwhd-DM $-DM ^a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM a$ -DM -DM d-DM ^ &,<Oziieed-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$d-DM ^d-DM ^ CD|})*:; CDvwtu./ QRhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHP D}b$ d-DM ] ^`a$$  d-DM ] ^ `a$d-DM ^d-DM ^d-DM ^$d-DM ^`a$ -DM &-DM *; Dw|bOd-DM ^$d -DM ]`a$$d.-DM ]^a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$wumQ$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$ds-DM ^d-DM ^/$d-DM ]^`a$$d-DM ^a$ r-DM -DM -DM :d*-DM ^d-DM ^ /Rzb$d-DM ]`a$d-DM ^$"d-DM ]"^a$d-DM ^$ d-DM ] `a$d-DM ^$ d -DM ]^ `a$M$d-DM ]`a$$ d"-DM ] ^a$ -DM  -DM $d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$ LMabno&' !"!"{| UVHIEFY[\ʻ#hmw9B*OJQJ^JmHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHBMbo' hT$d-DM ]a$$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ^ `a$$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$ d-DM ^ `a$ ""|uY$  d-DM ] ^ `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$d-DM ^ Vl$d-DM ^`a$$  d-DM ] ^ `a$ -DM +-DM $d-DM ^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$ VIFZ]ttpp*$d-DM a$$-DM ]a$d-DM ^$d-DM `a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM ]`a$ \]!de? @ k l       & ' K L     N O ~      > ? U V         >?pqhmw95B*\mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHJ !e@ l   td-DM ^$ d-DM ^ `a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM a$ e-DM -DM  ' L   O    sZ d-DM ] ^` d-DM d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$d-DM ^$d-DM ^`a$d-DM ^ ? V     yaPd-DM ^$ d-DM ^ `a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM `a$$d-DM ]`a$d.-DM d-DM ^d-DM ^ ?qqqd-DM ^$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$"dx-DM ]"`a$ -DM  -DM $d-DM ^`a$ ?@`acd9:]^VWab-.VW,-!!!!#$%%&&$&*&hmw96B*]mHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9CJaJmHsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHL@admZId-DM ^d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^:^uW$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$ d -DM ]^ `a$$d-DM ^a$$"d-DM ^"`a$d-DM ^Wb.$ d-DM ]^ a$ -DM }-DM  $" d-DM ]"^ `a$d-DM ^$d -DM ]a$ .W-}j````` -DM $-DM ]a$$ d -DM ^ a$$  d-DM ] ^ `a$$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ] `a$$d-DM ]^`a$ !!!!!!!!!!!!!!!$%$d-DM ]^`a$$d-DM ^a$ -DM $a$$d-DM a$%& &!&"&%&&&'&(&)&*&&&S'$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^a$$-DM ]a$$d-DM `a$ *&~&&&&R'S'$)%)-).)* */+g+++++z-{---m/n/C0D0G0M0 2 2 3355555 7 798:8T8U8b9c9E:F::::;;f<g<<<o=p===>>>>??@@@@@@@@@`AaAB)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHNS'%).) *0+1+_+b+c+d+e+f+g++$d-DM ]^`a$$a$$d-DM ^`a$$d-DM ^`a$d-DM ^$d-DM ^`a$ ++{--n/D0E0H0I0J0K0L0M0xxvvvvv$-DM ]a$$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$d-DM `a$$d-DM `a$ M0 2355555555555555$a$d-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM a$5 7:8U8c9F:::::::::|zzuzzzz$a$$d-DM ]^`a$$d'-DM a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ^a$ :::;g<<p==>>}a}$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^a$ >?@@@@@@@@@@@@@d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$a$d-DM ^$d-DM ]^a$@aABGC[CCC DoDDmU$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$$d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM `a$$d-DM `a$$d-DM ]`a$ BBFCGCZC[CCCCC D DnDoDDDDgEhEEEEEVFWFFFFGGoHpHHHHHII{I|II!J"J;J9:ghtNO89FG_`)*-3_`hmw95B*\mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHOT6$`d-DM ]``a$$Yd-DM ]Y^a$$d-DM `a$ d-DM $d-DM a$5$-DM ]a$d-DM ^$`d-DM ]``a$$nd-DM ]n`a$vM63789:;<mkkkkkk$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$-DM ^ <=>:uY$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$hlmnopqrstO9$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$G`*./01xeccc$-DM ^a$$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ^`a$ 123`#t$d-DM `a$d-DM ^$d-DM `a$$d-DM `a$$d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^ "#DE  EF56DOP:;@Awx   !rshmw95B*\mHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHWE{$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$E FuW$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^a$6:;<=>?@ABCDP$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] a$d-DM ^$d-DM ]^`a$;Ax   |dSQQd-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$ !d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$ d-DM ] `a$$ d-DM ] a$ sV$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ^ `a$UV$%VWPQ  fguv}~hiEFJK`a/0RSjk  .hmw9mHsHhmw9B*mHphsHhmw95B*\mHphsHW%WQjN$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]`a$$ d-DM ^ `a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ `a$ gv~i$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]a$d-DM ^iF !$a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^d-DM ^!Karppp$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ]^ `a$$d-DM ^`a$$d-DM ^a$ 0Skw$d-DM ]^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM `a$$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] `a$  / $d-DM ^`a$$d-DM ^a$$ d%-DM ^ a$$d-DM `a$$d-DM `a$d-DM ^./  78-.TYY Z         j k | }     ^_ YZCDuhmw95B*\mHphsHhmw96B*]mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHI 8$d-DM `a$$ d-DM ] ^a$$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$.Z              $d-DM ^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]`a$$ d-DM ] `a$  k }   _w[L$-DM a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ^`a$$d-DM `a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$d-DM ]^a$$-DM ^a$    Z$d-DM ^`a$$ d -DM ] `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$DvjRP$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d%-DM ^a$$d-DM ]^`a$$d -DM ^`a$C-DM ^-DM ^ uv !56  " # X Y  ! !E!F!h!i!!!!!!!!! " ""####$ $$$%%%%+','8'''^(_())))'*(*++)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHO!6$ d-DM ^ `a$$d-DM ^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]`a$$d-DM ]a$ 6 # $d-DM `a$d-DM ^$d-DM ]^a$$d-DM ]^`a$$d-DM ^`a$# Y  !F!i!!!!! """""""d-DM ^d-DM ^d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$d-DM ^""""## $$%%l$d-DM ^`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$d-DM a$ %,'0'1'2'3'4'5'6'7'8''_())d-DM ^$d.-DM ]^a$$d-DM ^`a$$ d-DM ^ a$$d-DM ]`a$)(*++++++++++++,$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ]`a$$ d-DM ] ^`a$+++++++,,3-4-?-@-w-x- . .C.D.\._...//:/;/////005060000000X1Y11111"3#3^3_3333333444455;5<5^5_555555(6)6Y6Z666-7hmw95B*\mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHN,4-@-x- .D.H.I.J.K.L.M.N.O.P.Q.R.S.T.U.$ d-DM ] `a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$d-DM `a$U.V.W.X.Y.Z.[.\._.`../;///d-DM ^$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] ^a$$a$/060000Y11111111111$a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM ^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$1111#3_3333445<5pd-DM ^$d-DM `a$$d-DM ]`a$d-DM ^$ d-DM ] `a$$d-DM `a$d-DM ^ <5_555555555555)6Z66$ d-DM ] ^`a$d-DM ^d-DM ^$a$$d-DM ]`a$d-DM ^6.78 99:9|999~m\d-DM ^d-DM ^$ d-DM ] ^`a$d-DM ^d-DM ^$d-DM ]^`a$$d-DM `a$d-DM ^-7.788 9 99999:9{9|99999:::::5;6;;;;;<<<<= =d=e=========%>&>y>z>>>>>>>>x?y???=@>@R@S@KALAAAAAdBeBBB:C;CICCCDEEEEhmw95B*\mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9B*mHphsHhmw9mHsHO9::::::::::6;;;<y$d-DM ^`a$d-DM ^$ d-DM ^ `a$$ d-DM ]^ a$d-DM ^$ d-DM ] `a$<< =e=====&>z>>>tad-DM ^$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ^ `a$$ d-DM ^ `a$d-DM ^$d-DM ^`a$ >>>>>>>>>>>>y??>@S@d-DM ^$ d-DM ] `a$d-DM ^$ d-DM ] `a$d-DM ^S@LAAAeBB;C?C@CACBCCCDCkiiiiii$  d-DM ] ^ `a$$d-DM `a$$d-DM ]`a$$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] `a$$d-DM ]`a$ DCECFCGCHCICCEEENFGw$ d-DM ^ `a$$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] ^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]^a$ EEMFNFGGHHHHHHHHHTIUIIIIIJJ,K-K#L$LJMKMNN#NNNPPVPWPPPQQ=Q>Q7S8SkSlSxS T T_T`T8U9U V VVVdWeWWWWW@XAXeXfXnXXXY Y`YaYYY;ZQ8Sl$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM ]`a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ]^ a$ 8SlSpSqSrSsStSuSvSwSxS T`T9U V$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM a$d-DM ^ VVeWWWAXfXjXkXlXmXnX}ljjjjjd-DM ^$ d-DM ] ^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM `a$$d-DM ]^`a$$ d-DM ] `a$ nXX YaYYSTÍ"#ď~ EF’Ò  34?@tu>?ij)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHhmw95B*\mHphsHJB9geeeee$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] `a$$ d-DM ^ `a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM `a$$ d-DM ]^ `a$ ĉ>BCDEFGHIJKLMNOPQ$d-DM ]`a$$d-DM `a$QTÍ#Ïď$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] `a$d-DM ^$d-DM a$$-DM ^a$ď FÒjYd-DM ^$  d-DM ] ^ `a$$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]`a$d-DM ^$d-DM ]^a$Ò 4@uyz{|}~d-DM ^$ d-DM ^ `a$$d-DM ^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$ ?jnR$d-DM ]^`a$$ d-DM ^ `a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$d-DM ^`a$$ d-DM ] ^`a$$d-DM ]^a$FGTӚԚ12_`UVrsjkŸ./ˡ̡QRâ12-.RStu"#'.hmw95B*\mHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsHhmw96B*]mHphsHJGKLMNOPQRSTԚ$d-DM ]^`a$$d-DM `a$$ d-DM ] a$d-DM ^$d-DM `a$2`VsgTd-DM ^$d-DM ]^`a$$  d -DM ] ^ `a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$d-DM ^ kŸ/$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$d-DM ]`a$/̡R¢â2$d-DM ]^a$$d-DM ^`a$$  d-DM ] ^ `a$$d-DM ]^`a$2.SuhL$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ `a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM ^`a$$ d-DM ] `a$d-DM ^$ d-DM ]^ `a$u#'()*+,-./3ɨ_$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$$ d%-DM ^ a$./23Ȩɨ^_éĩ˫̫έϭ^_ͮήCDհְjkRS^WX()'(ij01JKYhmw95B*\mHphsHhmw9mHsHhmw9B*mHphsH)hmw95B*OJQJ\^JmHphsHN_ĩ̫ϭd-DM ^$d-DM ^a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM `a$$d-DM ]^`a$ ϭ_ήDxvvvvvv$ d-DM ] ^`a$$d-DM ^`a$$d-DM `a$d-DM ^$d-DM `a$$d-DM ^`a$ ְkSWX$d-DM ^`a$$d-DM ]`a$$d-DM ^`a$$d-DM ^a$$"-DM ^"a$XYZ[\]^X)$ d-DM ] ^`a$d-DM ^$d-DM ]^`a$$ d-DM ]^ `a$$d-DM `a$ (j1~bD$ d-DM ]^ `a$$d-DM ]^`a$$d-DM ]^`a$d-DM ^$ d-DM ] ^`a$$ d-DM ]^ `a$$  d-DM ] ^ `a$KZ^_`abcded-DM ^$d-DM ^`a$$d-DM `a$$d-DM ]^`a$YZdݿ޿,-KLyzTU-.z{BChmw9B*mHphsHhmw95B*\mHphsHhmw9mHsH2=>9 H@8DB 0170F0\i\ 1KG=0O B01;8F0 :V 44 la .k. 5B A?8A:0  69-'0'8'|1111{:~::DDDsOvO~OXXXaaajjktttmzpzxz (EHR}*-5tw!/p*Yƽ Hw(WֿF2aP<kZFu#nZ7x&dA0n&U XDs+lIL_x*Qi   N /q*z .t@456898e~!)"+#a#d&,'-'/'0'3'7'8'')G*w,,<-{1|1~11111112334455667k7779I99L:z:{:}:~::::U;;;<s<)=_==>7>>>M????V@ BrDDDDDDDDEOIXJJKENNrOsOuOvOyO}O~OOP>PPQR]RTKTEUUVVYWWXXXXXXXXZr[[\\]d]]E^}^^q___)a^ajaaaaaaaabb;ccBddaeeffff ggAg~gggMhhjjjjjjjjkkkk#llm$mMmmmmo=ppgqstttttttuuux;zlzmzozpzszwzxz|\VGkˌ #'(*=_04G =DEGHKMQR;s\PÜ8linj(K|}>ƪ*b)*,-045nݲij (NuC stvwz~޹ϾHʿ. hVNd:j(lr&OWa--r \@RnRXH&,<O D}*; Dwu/RMbo' ""| VIFZ] !e@l'LO?V?q @ a    d       :^Wb.W- !"%&'()*S%!.! "0#1#_#b#c#d#e#f#g###{%%n'D(E(H(I(J(K(L(M( *+-------------- /:0U0c1F222222222223g44p556678888888888888a9:G;[;;; <o<<<<<<<<<<h===W>>?p@@@A|A}A~AAAAAAAAA"B:hlmnopqrstO9G`*./0123`#E F6:;<=>?@ABCDP;Ax   !sV%WQ gv~iF !Ka0Sk / 8.Zk}_    Z                D   v!6 #Y Fi  ,012345678_ !!("############$4%@%x% &D&H&I&J&K&L&M&N&O&P&Q&R&S&T&U&V&W&X&Y&Z&[&\&_&`&&';'''(6((((Y))))))))))))))#+_++++,,-<-_------------).Z.../0 11:1|1112222222222633344 5e55555&6z66666666666666y77>8S8L999e::;;?;@;A;B;C;D;E;F;G;H;I;;E==N>?@@@@@@@@@@@@@UAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAB-C$DKEFFFFFFF F!F"F#FFHWHI>I8KlKpKqKrKsKtKuKvKwKxK L`L9M NNeOOOAPfPjPkPlPmPnPP QaQQBCDEFGHIJKLMNOPQTÅ#‡Çć FÊ 4@uyz{|}~?jGKLMNOPQRSTԒ2`Vsk—/̙RšÚ2.Su#'()*+,-./3ɠ_ġ̣ϥ_ΦD֨kSWXYZ[\]^X)(j1KZ^_`abcdef޷-LzU ʻ.ֽ{CM90M90M90M90M90M900000000000000000000000000M9000000000000000000000M900000000000000000000M900M900000000000M900M9000M900000000M900M9000M9000000000000000000000M900M9000M9000000000000000000000M900M9000M9000000000M900M9000M900000000000000000M900M9000M900000000000000000000M900M9000M90000000000000000000000000M900M9000M900000000000000000M900M9000M90000000M900M9000M90000000M900M9000M900000000M900M9000M900000000000000M900M90000M9000000000000000000M900M9000M90000000000000M900M9000M90000000000M900M9000M90000000000000000000000M900M9000M900000000000000000M900M9000M9000000000000000000000M900M9000M9000000000000000000000000000000M900M9000M9000000000000000M900M90000M900000000000000000000000M900M90000M90000000000000M900M90000M90000000000000000000000M900M9000M900000000000M900M90000M90000000000000000000000000000M900M9000M900000000000000000000000000M900M9000M900000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000O90t 96F\Ziu\*&BTbzʄaH.u+-7EtZQo.Yglqv| &,4<CJQX * N@"9%++19=?B_EGMvWZ^bEfilAorux}#M\8(0urOw/M V  .%S'+M05:>@DHS@DCGUIIN8S VnX-[ ]!`4be kmruwy}4QďÒ/2u_ϭXe hjkmnoprstuwxyz{}~     !"#$%'()*+-./012356789:;=>?@ABDEFGHIKLMNOPRSTUVWYZ[\]ik̏l5pB*urn:schemas-microsoft-com:office:smarttagscountry-region9*urn:schemas-microsoft-com:office:smarttagsplace TUHIKL^_wz)*PQh i   w x M O w y .0pq)*y wxwx-/su ?@34 467:78dez { }!~!("*"*#+#`#a#z$|$c&d&+'0'2'4'6'8'''))F*G*v,w,z,{,,,;-<-z-{-z1111111122333344x4y4445555666677j7l7777799H9I999K:L:y:~:::::T;V;x;y;;;;; <<r<s<(=*=^=`===>>6>8>>>>>L?N?x?y???????U@V@xAyA B BqDrDDDDDDDEENIOIWJYJJJJJJ/KKKDNFNNNqOvOxOzO|O~OOOPP=P>PPPQQRR\R]RTTJTLTDUFUUUV6VVVVVXWZWWWXXXXXXXXxYyYZZq[s[[[\\\\]]c]d]]]D^F^|^~^^^p_r_____(a*a]a^aiajaaaaaaabbbb:c;cccAdCddd`ebeee~ffffffff g ggg@gBg}ggggggLhNhhhjjxj{jjjjjjjjjjkxkykkkkk"l#llllm#m%mLmMmmmmmmmxnynooŪǪ)*abx{xy(-/135mnܲݲóų '(xzMNtvxyBCxy rwy{}ݹ޹xzξоGHɿ˿-.!ghUVMNcdxy9:ik'(kmqs%'NPVX`b,-,.qr []xy?AQSmoQRWXxyGIxy%'+,;=NO CE|})*:; CEvxtuxyxy./xy xzQRxyLNacno&' !#!#{} UWHIEGY[\]xyxzxy!xyde?Aklxy&(KLNO~>?UV>@pr  ? @ ` b x y       c e x y             9:]^VXab-.{|VW,-{|"$*~RS$!%!-!.!" "/#_#a#h#####z%{%%%m'n'C(E(G(M( * *** ++------ / /90;0T0U0b1c1E2F2222233f4g444o5q5556666778888888888`9a9::F;H;Z;\;;;;; < <n<o<<<<<g=i=====V>X>>>>>>>??o@q@@@@@AA{AAAAAAAAAA!B"B;BD|D}D,E-EkFoFqFwFcGeGGGGGGGAHCHII_KaKKKKKTLVLLLLLLLMMOMMMNNO OiOjOOOOOHPJP}PPPP,Q.Q6Q8Q~QQQQQQ R!RiRjRRRSSS#SeSgSSSSSTTyTzTTTTT7U9UUUUUUUVV W!WOWPWWWWWWWXXXX^X_XXXeYfYYYAZCZMZOZZZZZ|[}[\\\\]]Z^[^__````aabbb#bbbbbcccc~ddddeejekeffffffggIgKgh hhhiiiiAjCjjjukvkkkkkllilklllTnVnhnunwn}nvowoooqqfrgrrrrrNsOsss$t&tZt\tttttuuAuCuuu8v:vGvHvvvvvnwpwrwywwwwwx x"x$xXxZxxx?yAyyyyyyzzzzzzzzz{{,{/{1{6{u{v{{{{{||]|_|p|r|||||||7}9}K}L}}}~~|ȀʀKM&( لۄ߅ac56  prۈBCމklFGa!%',ߒ+,<=,139 $&YZNPgi  ce\]ݠߠPR&'CE%&RSĦƦ/46; PVX]su-/pqðŰʰ[])*Ǵȴ3<>B۷ܷhjӸԸHILT»û56ܿݿ45uwLM56237I9;ghl{NO8:FH_`)*-4_a"#DE  EG56:DOQ:<@Bwy    !rtUV$&VWPR  fhuw}~hjEF!JK`b/1RSjk  ./  78-.YZjk|}^_ Y[                C D       uv !56  "$XY  EFhi   +,08^ _ !!!!'"("########$$3%5%?%A%w%x% & &C&D&H&\&_&`&&&' ':'<'''''((5(7(((((((X)Z)))))))"+$+^+`+++++++,,,,--;-=-^-`---------.(.).Y.[...-/.///00 1 11191;1{1|111112222225363333344445 5d5f55555555555%6&6y6{666666666x7y777=8?8R8T8K9M99999d:f::::;;;?;I;;;D=E=====M>N>??@@@@@@@@@@@@TAVAAAAAAABB,C.C#D$DDDJEKEFFF$F*F,FFFHHVHXHHHII=I>I7K8KkKlKpKxK L L_L`L8M9MMM N NNNNNdOfOOOOO@PAPePfPjPnPPPQ!Q`QbQQQ;R=RsRuRRR,S.SSSTQTSTXTZTTTTT U UNUPUUUUUAVCVkWlWWWWW X"XYY)Y*YiYjYnYvYYY3Z4ZzZ|ZZZ[[i[k[[[[[\\\\]]]^^^aaaabbccc c$c.c0c1cidjdddeeffffPgQgUg\gggggiijjjj k!kkkkkkkllllmmnnanbnnnnnnnoo(o)ooopppppppqqq!r#rrrusvsTtUttttt]u_uuuuuDvFvvvvv3w4wwwTxUxyyyyzzzzzzA{B{8}9}}}~~Áā=>BQST…Å"#ć~ EGŠÊ  35?@tuy>?ikFGKTӒՒ13_`UVrtjl—.0˙͙QRÚ12-/RStu"#'/24Ƞɠ^`ášˣ̣ΥХ^`ͦΦCDըרjkRSW^acWY()®')ik02JKYZ^fijoprݷ߷,.KMy{TV ɻ˻¼-.սֽz{BC !5=?BD}2457bdJ&M&33334444+5-5666677h7j7777798;88899F9H999R;T;;; < <p<r<H=J=>>4>6>>>3?5?????EBGBaCcC,K.KSMUMNN;O=OPPPPBUDUUUVVy[{[[[\\a]c]]]n_p___[a]aaacccceeffff1g3g{g}ghhjjjjjjjjkk l"lll!m#mJmLmss uuYw`wzzY[֓ؓ8:prY[MO57ikߣ8:xzUW %'KM} ۹ݹ~uw+-KMac79ikLNoqY[OQkmEG9;LNz|') ACtvrtVY _a$&!=?!y{79FHWY$&IKQS= ?     a c       &(*,|~  ####%%@'B'#(%(o*q* + +R0T0C2E2d4f4m5o5558888^9`9 < <<<e=g=====>>@@yA{AB!BHCJC:D@$xiZ՜.+,0 hp|  jA Roman    !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghijklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ[\]^_`abcdefghjklmnopqrstuvwxyz{|}~      !"#$%&'()*+,-./0123456789:;<=>?@BCDEFGHJKLMNOPYRoot Entry F{ix[1TableiWordDocumenthSummaryInformation(ADocumentSummaryInformation8ICompObjj  F Microsoft Word MSWordDocWord.Document.89q